Ferien vom Ich
Die Frau ist blaß und von zartester Gesundheit; aber ich habe nur mit Mühe durchsetzen können, daß sie eine Bedienerin annahm. Sie wollte mit Luise ganz allein sein.
Das Mädchen ist viel ruhiger geworden. Wohl hindert es die Mutter nicht, zu anderen Kindern zum Spielen zu laufen; ja, sie drängt es oft dazu, aber das Kind bleibt am liebsten daheim. Dort ist es in einem ewig sonnigen Paradies der Mutterliebe. Die Mutter dichtet Geschichten um Geschichten, die Mutter spielt so schön, wie niemand spielen kann, die Mutter macht selbst das Lernen zur Lust.
Käthe und das Kind sind noch die einzigen Kameraden, die ich hier habe. Sie stören mich nicht. Ich weiß, daß sie im Frieden sind und daß sie mir, wenn ich frage, wie es ihnen geht, immer nur die Antwort geben werden: »Es geht uns gut!« Es ist schön, Menschen zu begegnen, die sagen, daß es ihnen gutgehe; es ist wie ein herzstärkender Blick auf ein heiteres Gelände, der sich bei einer so lieben Antwort auftut.
Im Forellenhof wird jetzt viel geschneidert, gestrickt, gebastelt. Eva schafft an ihrer Ausstattung, und alles Weibsvolk ist ganz närrisch, ihr dabei zu helfen. Es ist sehr heimlich in der großen Bauernstube. Der Wind zieht um die Giebel oder pfeift auf dem Schornstein wie auf einer großen Flöte, der Regen knistert am Fenster, das Feuer flackert im Herd, die alte Uhr geht freundlich ihren Weg hin und her mit ihrem Schlenkerbein. Manchmal erzählt eine der Frauen eine Geschichte, manchmal rattert eine Nähmaschine, manchmal spielt Vater Barthel auf der Ziehharmonika, oft kommt einer von den »Mannsvölkern« in die Stube, schüttelt sich wie ein Pudel, wärmt sich am Ofen und sagt etwas Nettes oder etwas Dummes, über das gelacht werden kann. Was bei der Hausarbeit herauskommt, kann ich nicht beurteilen. Eva wird eine sehr reiche Frau sein, aber vielleicht sind ihr einmal diese mit recht verschiedenartigem Talent im Ferienheim gestickten Monogramme und Schneidereien lieb und wert. . . Ich bekam eben einen Eilbrief von Methusalem aus München.
»Lieber Doktor!
Unser Freund Stefenson (wo hätte ich den Heimtücker in dem langen Ignaz vermutet!) hat mich von Amerika aus mit der ehrenvollen Aufgabe betraut, die äußeren Feierlichkeiten seines Hochzeitsfestes in Regie zu nehmen. Trotz meines hohen Alters will ich die Aufgabe übernehmen. (Nota bene: Was sagen Sie als Mediziner dazu, daß ich mit neunhundertachtundneunzig und dreiviertel Jahren noch einen Weisheitszahn kriege?) Also übernehmen! Die bewilligten Mittel sind generös. Man könnte damit alle Einwohner eines deutschen Herzogtums drei Tage lang freihalten. Ich werde mit einem Bruchteil des Geldes auskommen, und das Fest wird dennoch glänzend sein. Mein Freund Emmerich, bekanntlich Gesanglehrer an einer Taubstummenanstalt und auch sonst ein berühmter Musiker, übernimmt den musikalischen Teil. Das Fest soll am ersten Weihnachtsfeiertag im Rahmen eines großen deutschen Weihnachts- und Weihespiels stattfinden. Es ist allerhöchste Zeit, mit den Vorbereitungen zu beginnen. Erwarten Sie mich also schon morgen; sagen Sie Frau Susanne, daß ich vor Sehnsucht nach ihr brenne, durch welch schöne Redewendung sie erinnert sein soll, mein Zimmer gut zu heizen, und bewegen Sie Freund Piesecke, in den intimeren Festausschuß einzutreten.
Ihr getreuer Methusalem.
Nachschrift! Ich habe heute aus Freude, so bald nach dem geliebten Waltersburg zurückkehren zu können, bereits fünf Purzelbäume in meinem Bette geschlagen. Ich finde das zwar unpatriarchalisch, aber es mußte sein!
Methusalem.«
Frau Susanne strahlte, als ich ihr Methusalems baldige Ankunft verkündigte, und rannte spornstreichs nach dem Kohlenkasten. Sie kann ihren ältesten Sohn nicht lieber haben als diesen Maler, der sie doch ständig ärgert und über den sie ständig schimpft.
Mit Piesecke dagegen hatte ich Schwierigkeiten.
»Ich lehne ab, dem Festausschuß beizutreten«, sagte er kalt, als ich ihm Methusalems Brief vorgelesen hatte. »Denn erstens, dieser Stefenson, der mich als Knecht Ignaz gemißhandelt hat, verdient von mir keine Gefälligkeit, und diese Eva auch nicht. Was aber Methusalem und Emmerich anbelangt, so habe ich mich einmal mit ihnen eingelassen und die traurigsten Erfahrungen mit ihnen gemacht.«
»Lieber Piesecke«, sagte ich. »Sie werden sich das noch überlegen. Was Stefenson anlangt, so sind Sie eine viel zu große Natur, um nachträgerisch zu sein. Und mit Methusalem und Emmerich dürfen Sie
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