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Durch Mark und Bein: 4. Fall mit Tempe Brennan

Durch Mark und Bein: 4. Fall mit Tempe Brennan

Titel: Durch Mark und Bein: 4. Fall mit Tempe Brennan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathy Reichs
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1
    Ich starrte die Frau an, die aussah, als würde sie durch die Bäume fliegen. Ihr Kopf war erhoben, das Kinn vorgereckt, die Arme nach hinten gestreckt wie bei der kleinen Chromgöttin auf dem Kühlergrill eines Rolls Royce. Aber die Dame in den Bäumen war nackt, und ihr Körper endete an der Taille. Blutbeschmierte Blätter und Zweige rankten sich um den leblosen Torso.
    Ich sah mich um. Bis auf den schmalen Kiesweg, auf dem ich mein Auto abgestellt hatte, gab es nichts als dichten Wald. Bei den Bäumen handelte es sich vorwiegend um Kiefern, und die wenigen Harthölzer waren wie Kränze, die den Tod des Sommers markierten; ihr Laub leuchtete in allen Schattierungen von Rot, Orange und Gelb.
    Obwohl es jetzt, Anfang Oktober, in Charlotte noch heiß war, herrschte in dieser Höhe angenehmes Frühherbstwetter. Doch es würde bald kühl werden. Ich holte eine Windjacke vom Rücksitz, stand dann still da und lauschte.
    Vogelgezwitscher. Wind. Das Rascheln kleiner Tiere. Dann, in der Entfernung, ein Mann, der einem anderen etwas zurief. Eine gedämpfte Antwort.
    Ich band mir die Jacke um die Taille, schloss das Auto ab und machte mich auf den Weg in Richtung der Stimmen. Unter meinen Sohlen raschelten totes Laub und Fichtennadeln.
    Nach zehn Metern kam ich an einem sitzenden Mann vorbei, der, die Knie gegen die Brust gedrückt, einen Laptop neben sich, an einem moosbewachsenen Stein lehnte. Ihm fehlten beide Arme, und ein Porzellankännchen ragte aus seiner linken Schläfe.
    Auf dem Computer lag ein Gesicht, die Zähne von einer Spange umschlossen, die eine Braue von einem feinen Goldring durchstochen. Die Augen waren offen und die Pupillen geweitet, was dem Gesicht einen Ausdruck der Bestürzung verlieh. Ich musste schlucken und ging schnell weiter.
    Nach wenigen Metern entdeckte ich ein Bein, der Fuß noch in einem Wanderstiefel. Das Glied war an der Hüfte abgerissen worden, und ich fragte mich, ob es zu dem Rolls-Royce-Torso gehörte.
    Hinter dem Bein saßen nebeneinander und noch in ihren Sitzen angeschnallt zwei Männer, deren Hälse nur noch rote Stümpfe waren. Der eine hatte ein Bein übers andere geschlagen, als würde er eine Zeitschrift lesen.
    Ich wanderte tiefer in den Wald hinein, und der Wind trug mir immer wieder zusammenhanglose Rufe zu. Ich musste Äste zurückbiegen und über Felsen und umgestürzte Bäume klettern, um mir einen Weg zu bahnen.
    Gepäckstücke und Metallfragmente lagen zwischen den Bäumen. Die meisten Koffer waren aufgeplatzt, der Inhalt lag in zufälligen Mustern verstreut. Kleidungsstücke,
Lockenstäbe und Elektrorasierer lagen zwischen Tuben und Fläschchen mit Handcreme, Shampoo, Rasierwasser und Parfüm. Eine kleine Reisetasche hatte hunderte von stibitzten Hoteltoilettenartikeln ausgespuckt. Der Geruch von Drogerieprodukten mischte sich mit dem Duft von Kiefern und Bergluft. Aus der Entfernung kam eine Andeutung von Rauch.
    Ich bewegte mich in einer tief eingeschnittenen Rinne, durch deren dichtes Blätterdach das Licht nur in Sprenkeln auf den Waldboden fiel. Es war kühl im Schatten, trotzdem stand mir der Schweiß auf der Stirn und klebte mir die Kleidung an die Haut. Mein Fuß verfing sich an einem Rucksack, ich stürzte und riss mir an einem von fallenden Trümmern abgetrennten Ast den Ärmel auf.
    Einen Augenblick lag ich mit zitternden Händen da, mein Atem kam in abgehackten Stößen. Obwohl ich gelernt hatte, Emotionen zu unterdrücken, spürte ich, wie Verzweiflung in mir hochstieg. So viele Tote. Lieber Gott, wie viele werden es wohl sein?
    Ich schloss die Augen, riss mich zusammen und stand wieder auf.
    Eine Ewigkeit später stieg ich über einen verrottenden Baumstamm, umkreiste ein Rhododendrongebüsch, und da ich den entfernten Stimmen noch kein Stückchen näher gekommen zu sein schien, blieb ich stehen, um mich zu orientieren. Das gedämpfte Jaulen einer Sirene sagte mir, dass sich die Einsatzkräfte irgendwo hinter einem Kamm im Osten versammelten.
    Wird Zeit, dass du dich ein bisschen besser über die Örtlichkeiten informierst, Brennan.
    Aber ich hatte auch keine Zeit gehabt, viele Fragen zu stellen. Normalerweise sind diejenigen, die bei Flugzeugabstürzen oder ähnlichen Katastrophen als Erste zur Stelle sind, zwar voller guter Absichten, aber jämmerlich schlecht darauf vorbereitet, mit einem Unglück dieses Ausmaßes umzugehen. Ich war unterwegs gewesen von Charlotte nach Knoxville und bereits knapp vor der Staatsgrenze, als mich die Bitte erreichte,

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