Fesseln der Erinnerung
werden.“ Diese Erkenntnis hatte auch Nikita überrascht, wenn sie ehrlich war. Sie selbst hatte ihr Volk zuletzt nur noch als die Schafherde gesehen, die es lange Zeit auch gewesen war. Aber die Zeiten hatten sich geändert. Und Nikita hegte keineswegs die Absicht, in der aufkommenden Flut unterzugehen.
Wieder trat ein Augenblick der Stille ein, als telepathisch Nachrichten ausgetauscht und Daten verglichen wurden, um das Gesagte zu überprüfen.
Schließlich ergriff Henry das Wort. „Silentium kann nicht scheitern.“
„Es ist der Grundstein unserer Stabilität“, ergänzte Tatiana.
„Dem stimme ich voll und ganz zu.“ Das war Shoshannas Stimme.
„Die Stabilität schwindet“, warf Ming ein. „Momentan gibt es keine Möglichkeit, diesen Prozess aufzuhalten.“
„Dann ist es vielleicht an der Zeit, dass Silentium stirbt“, ließ sich Anthony leise vernehmen.
„Nein.“ Einstimmig aus drei verschiedenen Köpfen.
Ming schwieg.
„Eine solche Entscheidung kann nicht an einem Tag gefällt werden“, meldete sich Kaleb zu Wort. „Ganz gleich, wie wir dazu stehen. Aber die Makellosen Medialen stellen ein Problem dar, das ein für alle Mal aus der Welt geschafft werden muss. Ihre Handlungen verschleiern die wahren Schwierigkeiten.“
„Die Makellosen Medialen unterstützen Silentium vorbehaltlos“, gab Henry zu bedenken. „Der Vorschlag, sie auszuschalten, ist völlig inakzeptabel.“
„Willst du damit sagen, dass sie unter deinem Schutz stehen?“, fragte Nikita.
„Ja, so ist es allerdings.“
„Und in deinem Namen handeln?“
Eine längere Pause trat ein, da Henry klar geworden war, was eine positive Antwort enthüllen konnte. Natürlich wussten alle, dass er im Fall Quentin Gareth derjenige gewesen war, der im Hintergrund die Fäden gezogen hatte – aber offen dazu zu stehen, war etwas ganz anderes.
Shoshanna „rettete“ ihren Gatten. „Die Makellosen Medialen haben ihre eigenen Prinzipien. Zufällig ist Henry in vielen Punkten derselben Meinung, aber deshalb kann man ihm doch nicht die Schuld für die Angriffe gegen dich zuschieben, Nikita.“
So ein liebes Frauchen. Die leisen telepathischen Worte von Kaleb waren so leer und bar jeder Emotion, dass sich Nikita fragte, warum sie sich mit ihm zusammengetan hatte. Aber in diesem Schlangennest war er der Einzige, dessen Beweggründe sie wenigstens halbwegs nachvollziehen konnte.
Sie sitzt im selben Boot , gab sie zur Antwort, wenn er stürzt, wird sie mit hinabgezogen.
Tatiana ist auf ihrer Seite.
Nikita sah das auch so. Ming ist ambivalent.
Anthony wird sich uns anschließen – seine Geschäftsinteressen sind zu eng mit denen der anderen Gattungen verbunden.
Nikita erwähnte das Gespräch nicht, das sie mit Anthony geführt hatte.
Und du?, fragte sie den gefährlichsten TK -Medialen im Medialnet. Wo liegt deine wahre Loyalität?
Das wirst du noch früh genug erfahren.
„Mir scheint, wir befinden uns in einer Pattsituation“, ließ sich Anthonys kluge und besonnene Stimme vernehmen. Dann wandte er sich an Henry. „Es wäre besser, du würdest den Makellosen Medialen deutlich machen, dass sie ihre Ambitionen für einen Staatsstreich schleunigst aufgeben sollten.“
„Und bestell den Mitgliedern in meiner Stadt“, schloss sich Nikita an, „dass sie die Stadt verlassen sollen, sobald dieses Treffen hier beendet ist. Sonst werde ich jeden Einzelnen persönlich auslöschen.“ Sie hatte schon getötet. Schon oft. Und sie würde es wieder tun. Aus reinem Selbsterhaltungstrieb, sagte sie sich. Nicht etwa, weil die Makellosen Medialen versucht hatten, ihre Tochter und ihr zukünftiges Enkelkind zu töten.
„Und noch eins, Henry“, fuhr sie fort. Sie hatte Tausende von Viren im Kopf. Irgendwann würde sie schon auf das Virus stoßen, das durch seine Schilde drang. „Wenn du noch einmal auf den Gedanken kommst, jemand von meinen Leuten hätte einen Defekt und ohne meine Zustimmung eine Rehabilitation anordnest, werde ich wahrscheinlich nicht so zivilisiert wie diesmal reagieren. Kurz gesagt, es wäre bestimmt besser für deine … Gesundheit, wenn du dich in meinem Territorium nie mehr blicken lässt.“
„Was ist eigentlich mit deiner Lieblings-J-Medialen los?“, fragte Tatiana in zuckersüßem Ton. „Mit der stimmt doch etwas nicht. Ihre Schilde sind ganz anders als gewöhnlich.“
„Ist es neuerdings ein Verbrechen, außergewöhnlich zu sein?“ Nikita hatte weit länger im Rat überlebt als Tatiana. Falls die junge
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