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Feuchtgebiete: Roman (German Edition)

Feuchtgebiete: Roman (German Edition)

Titel: Feuchtgebiete: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Roche
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ich es trotzdem mache. Als Nächstes kommt der Anästhesist.
    Der Betäuber. Er setzt sich direkt neben meinen Kopf ans Bett auf einen viel zu niedrigen Stuhl. Er redet ganz sanft und hat mehr Verständnis für meine unangenehme Situation als Professor Dr. Notz. Er fragt nach meinem Alter. Wenn ich unter achtzehn wäre, müsste jetzt ein Erziehungsberechtigter hier sein. Bin ich aber nicht. Ich sage ihm, dass ich dieses Jahr volljährig geworden bin. Er guckt mir prüfend in die Augen. Ich weiß, glaubt nie jemand. Ich sehe irgendwie jünger aus. Kenne ich schon, diese Prozedur. Ich mache mein ernstes Kannst-du-mir-ruhig-glauben-Gesicht und gucke ihm fest entschlossen zurück in die Augen. Sein Blick ändert sich. Er glaubt es. Weiter im Text.
    Er erklärt mir, wie die Narkose wirkt, dass ich zählen soll und irgendwann wegkippe, ohne es zu merken. Während der gesamten Operation sitzt er an meinem Kopfende, überwacht meine Atmung und kontrolliert, wie ich die Narkose vertrage. Aha. Dann ist dieses Zu-nah-am-Kopf-Sitzen also eine Berufskrankheit. Die meisten merken es sowieso nicht, sind ja betäubt. Und bestimmt muss er sich ganz klein machen und deswegen so nah am Kopf sitzen, weil er sonst die echten Ärzte beim Operieren stört. Der Arme. Typische Haltung beim Ausüben des Berufs: Kauern.
    Er hat einen Vertrag mitgebracht, den soll ich unterschreiben. Da steht drin, dass es durch die Operation zu Inkontinenz kommen kann. Ich frage ihn, was das alles mit Pipi zu tun hat. Er schmunzelt und sagt, es handele sich hierbei um eine Anal-Inkontinenz. Noch nie von gehört. Plötzlich wird mir klar, was das heißen könnte: »Sie meinen, ich kann meinen Schließmuskel nicht mehr kontrollieren und mir läuft da immer und überall Kacke raus, ich brauche eine Windel und rieche dann die ganze Zeit danach?«
    Mein Betäuber sagt: »Ja, passiert aber selten. Hier unterschreiben, bitte.«
    Ich unterschreibe. Was soll ich sonst machen? Wenn das hier die Operationsbedingungen sind. Kann mich ja schlecht selber zu Hause operieren.
    Oh, Mann. Bitte, lieber nicht vorhandener Gott, mach, dass das nicht passiert. Ich krieg dann mit achtzehn eine Windel. Eigentlich gibt’s die doch erst zum Achtzigsten. Ich hätte dann nur vierzehn Jahre meines Lebens ohne Windel geschafft. Und dadurch sieht man auch nicht besser aus.
    »Lieber Betäuber, wäre es möglich, das, was die da bei der Operation wegschneiden, nachher zu sehen? Ich mag das nicht, wenn man mir was wegschneidet und das einfach im Müll landet, zusammen mit den Abgetriebenen und Blinddärmen, ohne dass ich mir ein Bild davon machen kann. Ich will das selber mal in der Hand halten und untersuchen.«
    »Wenn Sie darauf bestehen, natürlich.«
    »Danke.« Er steckt mir schon mal die Nadel in den Arm und klebt alles mit Gaffa fest. Das ist der Kanal für die Vollnarkose später. Er sagt, in ein paar Minuten kommt ein Pfleger und fährt mich in den Operationssaal. Auch der Betäuber lässt mich in meiner Wundblasenwasserpfütze liegen und geht raus.
    Diese Sache mit der Analinkontinenz macht mir Sorgen.
    Lieber nicht vorhandener Gott, wenn ich hier rauskomme, ohne anal inkontinent zu sein, höre ich auch auf mit den ganzen Sachen, die mir sowieso ein schlechtes Gewissen bereiten. Dieses eine Spiel, bei dem meine Freundin Corinna und ich total besoffen durch die Stadt laufen und allen Brillenträgern im Vorbeilaufen die Brille von der Nase grapschen, einmal durchbrechen und dann in die Ecke pfeffern.
    Da muss man sehr schnell laufen, weil manche vor lauter Wut auch ohne Brille sehr schnell werden können.
    Das Spiel ist eigentlich totaler Quatsch, weil wir danach immer nüchtern sind vor lauter Aufregung und AdrenalinAusschüttung. Große Geldverschwendung. Danach fangen wir wieder von vorne an, uns zu betrinken.
    Das würde ich sogar gerne aufgeben, dieses Spiel, weil ich nachts öfters von dem Gesichtsausdruck träume, den die Entbrillten in dem Moment haben. Als würde ich ihnen ein Körperteil abreißen.
    Also, das würde ich schon mal drangeben, und was anderes überleg ich mir noch.
    Vielleicht das mit den Nutten, wenn es unbedingt sein muss. Das wäre aber echt ein großes Opfer. Mir wäre es lieber, das mit den Brillen aufhören würde reichen.
    Ich habe jetzt schon beschlossen, die beste Patientin zu werden, die dieses Krankenhaus je gesehen hat. Ich werde sehr nett zu den überarbeiteten Schwestern und Ärzten sein. Und ich werde meinen Dreck immer selber wegmachen. Zum

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