Feuchtgebiete: Roman (German Edition)
dem Küchenboden und Gas strömte aus dem Ofen. Ich habe euch gegen den Willen von Mama gerettet, kurz bevor das Haus in die Luft flog oder ihr erstickt wäret. Im Krankenhaus wurde euch der Magen ausgepumpt und ihr musstet ganz lange hier bleiben.«
Er guckt mich ganz traurig an. Ich glaube, er hat es schon vorher gewusst. Seine Augenlider werden ganz blassbläulich. Schöner Junge. Aber auch wenig Muskeln am Auge.
Er sagt lange nichts. Bewegt sich kein bisschen.
Dann steht er auf und geht ganz langsam durchs Zimmer. Er macht die Tür auf und sagt im Rausgehen:
»Deswegen habe ich immer diese Scheißträume. Die kriegt se. «
Meine Familie geht noch mehr den Bach runter, als sie sowieso schon ist.
Ist das jetzt meine Schuld?
Nur weil ich Toni die Wahrheit gesagt habe?
Man kann doch nicht für immer schweigen. Lügen. Für den Familienfrieden? Frieden durch Lügen. Mal gucken, was passiert. Ich mache oft Sachen, bei denen ich nachher erst über die Konsequenzen nachdenke.
Den Plan, meine Eltern wieder zusammenzubringen, habe ich jetzt endgültig ein für alle Mal verworfen.
Das macht mich langsam wahnsinnig. Ich bin hier eingesperrt, und die kommen und gehen alle, wann sie wollen. Und machen da draußen bestimmt auch noch Sachen, von denen ich nichts weiß. Ich würde gerne mitmachen, denke ich kurz. Aber Quatsch. Da draußen sind wir als Familie noch weiter auseinandergerissen, jeder für sich. Weil ich hier mit meinem Arsch ans Bett gefesselt bin, kreuzen sich die Wege meiner Verwandten wenigstens ab und zu mit meinem.
Es klopft, und jemand rauscht rein. Ich dachte kurz, mein Bruder kommt zurück, um weiter mit mir über seine Fastermordung durch unsere Mutter zu sprechen.
Der Mensch, der da steht, trägt aber große, weiße Gesundheitsschuhe und eine weiße Leinenhose.
Ein Arzt.
Ich gucke hoch. Prof. Dr. Notz.
Wehe, der entlässt mich. Dann kette ich mich ans Bett.
»Guten Abend, Frau Memel. Wie geht es Ihnen denn?«
»Wenn Sie wissen wollen, ob ich Stuhlgang hatte, fragen Sie das doch bitte auch genau so. Nicht immer um den heißen Brei herumreden.«
»Bevor ich mit Ihnen über Ihren Stuhlgang rede, wollte ich erst mal wissen, wie es Ihnen mit den Schmerzen geht.«
»Gut. Der Pfleger hat mir vor einigen Stunden Schmerztabletten gegeben. Wohl die letzten, wie ich das verstanden habe.«
»Genau. Sie müssten jetzt langsam ohne Tabletten zurechtkommen. Und dieser Druck mit dem Stuhlgang bringt bei Ihnen wohl auch nichts. Es gibt Patienten, bei denen wir davon absehen müssen, hier im Krankenhaus auf unblutigen Stuhlgang zu warten, bevor sie entlassen werden. Der Druck ist zu groß, und dann verspannen sie sich.«
Wie? Der entlässt mich jetzt einfach so zum zu Hause Kacken?
»Deshalb möchte ich Ihnen vorschlagen, dass Sie nach Hause gehen und dort in Ruhe das alles mal probieren. Und wenn es dort wieder anfängt zu bluten, kommen Sie einfach wieder zurück. So hat das hier keinen Sinn, finden wir.«
Wir? Ich sehe nur einen. Egal. Mist. Und jetzt? Was mache ich jetzt? Der ganze schöne Plan endgültig zerstört durch Notz.
»Ja, klingt vernünftig. Danke.«
»Sie freuen sich aber nicht wie andere, wenn man sie entlässt. Ich überbringe die freudige Nachricht immer gern persönlich.«
Tut mir leid, dass ich Ihnen Ihr Hobby vermiese, Notz. Aber ich will nicht nach Hause.
»Ich freu mich, ich kann es nur nicht zeigen.«
Und jetzt hau ab hier, du. Ich muss nachdenken.
»Dann sag ich mal nicht auf Wiedersehen, denn wir sehen uns ja nur wieder, wenn bei Ihnen zu Hause mit der Wundheilung etwas schiefläuft. Also hoffentlich auf Nimmerwiedersehen.«
Ja, schon verstanden, haha, bin ja nicht blöd. Auf Nimmerwiedersehen.
»Ich sage auf Wiedersehen. Wenn ich ganz gesund bin, fange ich hier nämlich als Grüner Engel an. Sie wissen schon. Was Sinnvolles mit dem Leben anfangen. Hab mich schon beworben. Dann laufen wir uns bestimmt mal auf dem Flur über den Weg.«
»Schön. Gut. Auf Wiedersehen.«
Raus. Tür zu.
Denken!
Meine letzte Chance. Verabschiedung von der Familie. Ich rufe meinen Vater an und sage ihm, dass ich entlassen worden bin. Er soll mich noch heute Abend abholen. Ich wähle seine Nummer. Er geht ran. Er entschuldigt sich nicht dafür, dass er nicht da war nach der Not-OP. Wie erwartet. Ich sage ihm alles, dass ich entlassen werde, dass er kommen soll.
Komm, was soll’s, Helen. Frag endlich nach.
»Papa, was bist du eigentlich von Beruf?«
»Ist das dein Ernst? Du weißt
Weitere Kostenlose Bücher