Feueraugen II. Drei Städte
solches Geflirte. In Gedanken erkundet sie mit den anderen die geheimnisvolle Stadt. Nur schwer kann Michel ihre Aufmerksamkeit auf sich lenken.
Schließlich aber wird es Emma heiß in ihrem Pelz und Michel hilft ihr gerne beim Ablegen. Der Charmeur zieht alle Register. Seine Hände sind flink, zärtlich und zugleich so fordernd, dass Emma endlich die Baldwinschen in der Stadt vergisst und sich ganz auf den 'ängstlichen' Franzosen konzentriert. Wie gut, dass er bei ihr geblieben ist und nicht den Helden hat spielen wollen - denkt sie sich jetzt!
Kurz darauf sind beide so sehr mit sich beschäftigt, dass sie gar nicht mehr bemerken, wie eine mächtige Staubwolke am Horizont aufzieht. Emma hat Probleme mit dem 'bleden Reißverschluss' an Michels Hose. Ihr gemeinsames Abenteuer mit Baldwin wird zu einem ganz anderen.
"Oh, Michel ... wart' doch ... damischer Bock ... ned so fest! Ah ... a mei ... bist scho a Wuida ..."
Sie verfällt mehr und mehr in ihren heimatlichen Dialekt und Michel versteht kaum noch ein Wort. Allerdings ist ihm das nicht weiter wichtig. Was sie von ihm möchte, ist ihm klar und er weiß, wie gut er ihr dies auch geben kann.
"Ooooolalaaa ... t'es en rage, ma p'tite ... ohooo ... wilde Rose, du!" Emma ist tatsächlich in Ekstase gekommen. Sie wirft sich herum und setzt sich auf Michel. Hierbei stößt sie sich den Fuß ziemlich schmerzhaft an dem Meilenstein an. Sie hält ganz kurz inne und reibt sich die wunde Stelle.
Dieser Augenblick genügt völlig. Mit einem Mal begreift Emma was um sie herum geschieht. Sie bemerkt die bedrohlich näher kommende Staubwolke und hört auch Geräusche, die sie nicht sofort einordnen kann.
"Michel!" schreit sie auf und springt hoch.
"Aber, was ist denn, mon ange? - Was tust Du denn? Setzt dich wieder auf mich!" verlangt Michel und versucht sie wieder zu sich herab zu ziehen.
"Da vorn' kommt wer! A riesige Staubwolken! - Schaug doch hin!"
Sekunden später ist auch Michel auf den Beinen. Hastig kleiden sich beide an.
"Wir müssen Baldwin warnen!" erklärt Emma. "Wir müssen in die Stadt!"
Michel wagt hier keinen Einspruch. Er fürchtet sich vor den unheimlichen Toten, aber Emmas Entscheidung hat natürlich auch ihre Richtigkeit. Sie können doch jetzt nicht einfach fliehen und Baldwin im Stich lassen.
* * *
Am Stadttor angekommen, halten sie kurz an und sehen zurück.
"Sie kommen näher!" stellt Emma fest.
"Es sind Reiter drunter! Und da blitzt was in der Sonne auf. Könnten das Lanzen und Helme sein?" Michel ist ziemlich unschlüssig.
"I woas ah ned, Michel ... komm!"
"Ich sehe jetzt sogar Fahnen!"
"Komm, Michel!"
"Die sind ganz schön schnell. Wir müssen Baldwin finden, bevor sie hier sind. Das sieht nicht gut aus, mein' ich!"
Bereits am Stadttor fällt ihnen ein Mann auf, der an der Mauer lehnt und vor sich hin sieht. Zuerst erschrecken sie maßlos, aber dann ... der Mann rührt sich nicht. Auch als sie näher an ihn herantreten – keine Reaktion. Tot? - Tot und steht dennoch an die Mauer gelehnt da?
"Jedenfalls macht der uns keine Probleme. Scheint ein Zivilist zu sein!" stellt Michel fest.
"Was der anhat ... völlig aus der Mode, tat i' sag'n!"
Mit der Analyse der Kleidung halten sich die beiden nicht weiter auf. Sie müssen Baldwin finden.
In einer breiten Straße laufen sie an einer erstaunlichen Menge von herumstehenden Toten vorbei. Auf der Straße sind sie, aus den Fenstern sehen sie herab, in den Türen stehen sie ... und kein einziger rührt sich.
"Das ist ja furchtbar!" flüstert Michel Emma zu, als sie gerade einmal anhalten, um sich über den Weiterweg klar zu werden.
"Wia a Albtraum!" stammelt Emma. "Aber wo san die andern?"
Da wird plötzlich Musik laut und Gesang dazu. Aus dem Nichts heraus schwillt eine zynisch wirkende, dabei ungemein aufpeitschende Musik zu voller Wucht an.
"Um Gottes Willen ... JessasMariaundJosef ... wos is'n dös nachert?" Emma klammert sich an Michel. "Wo kimmt denn die Musi her?"
Michel hat eine trockene Kehle. Es dauert eine Zeit lang, bis er überhaupt einen Ton herausbringt. "Emma ... ich kenne diese Musik!"
"Ja? Scho wieder so a großer Meister, der wo jetzt da g'spuit werd', obwohl dös eigentlich gar net so sei' derft?" winselt sie.
"C'est ... Mahler! Gustav Mahler! Zeramov hat mir das Stück vor Kurzem bei sich in der Wohnung vorgespielt. Es ist das Lied von den gefallenen Soldaten, die ihre eigene Parade abhalten. Et vraiement, Emma ...
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