Neptuns Tochter 3
M it einem dumpfen Plopp fielen die Schuhe zu Boden. Wobei der Aufprall an sich nicht das eigentlich Aufregende war. Turnschuhe machten in der Regel keine lauten Geräusche. Im Gegensatz zu Mikas »Ah!«, als der Raum um sie plötzlich in ein gleißendes Licht getaucht wurde und ihr besagte Turnschuhe in hohem Bogen aus der Hand fielen.
»Guten Abend, Mikaela«, klang es sonor vom Lichtschalter her. »Oder sollte ich sagen: Guten Morgen?«
»Bist du von allen guten Geistern verlassen?«, presste Mika keuchend hervor. Am liebsten hätte sie ihren Vater erwürgt.
Vor allem, als der ohne mit der Wimper zu zucken fortfuhr: »Darf man fragen, wo du um diese Zeit herkommst?«
»Papa«, schnaubte Mika. Sie löste sich aus ihrer Erstarrung, bückte sich nach den Schuhen und ging auf ihren Erzeuger zu. »Ich bin sechsundzwanzig und kein Teenager, der sich nachts ins Haus schleicht.«
»Und warum machst du das dann? Dich reinschleichen?«, fragte Adam David.
»Ich wollte niemanden wecken«, nuschelte Mika. Sie blieb vor ihrem Vater stehen. Beinah ein wenig schuldbewusst. Zumindest aber fühlte sie sich ertappt.
Trotz regte sich in ihr. Stand sie hier etwa unter Aufsicht? Oder war sie entmündigt? Nein. Noch war sie in der Lage, ihre Entscheidungen selbst zu treffen. Und dazu gehörte, sich nachts ins Haus schleichen zu dürfen. Wann immer es ihr passte. Basta.
Adam David schmunzelte. »Diesen Blick kenne ich.« Er packte seine Tochter an den Schultern, drehte sie zur Treppe und gab ihr einen leichten Schubs. »Nun, Mikaela, wenn du mich so anschaust, rede ich besser nicht mit dir«, sagte er ruhig. »Gute Nacht.« Und weg war er.
»Blödmann«, hätte Mika ihm am liebsten hinterhergerufen, verkniff es sich aber. Wenn sie von ihrem Vater respektiert und als Erwachsene behandelt werden wollte, dann sollte sie sich auch wie eine benehmen. Aber irgendwie gelang ihr das nie. In Gegenwart von Adam David wurde sie immer zum pubertierenden Schulmädchen.
Vielleicht sollte sie bei Timea in die Lehre gehen. Wie behalte ich stets die Nerven? Mika könnte auch den Katalog der Volkshochschule durchblättern. Da gab es bestimmt auch Kurse, in denen frau Selbstbeherrschung lernen konnte. Etwas, was sie auch gut in Timeas Gegenwart gebrauchen könnte.
Ein leises Seufzen entwich Mikas Lippen. Timea. Wie paradiesisch die vergangenen Stunden gewesen waren . . .
Langsam schlurfte Mika die Treppen hoch. Jede Stufe offenbarte eine Erinnerung. Timeas Augen. So sanft. So leidenschaftlich. Ihr Mund. Oh ja . Wie sie sich anfühlte, wie sie . . . Mika blieb stehen. Die Hand umklammerte das Geländer. Erst musste sie sich sammeln. Sie durfte nicht die nächste Stufe nehmen. Wer wusste, welche Erinnerung dahinter verborgen war? Vermutlich die, als Timea ihr eine Affäre vorgeschlagen und dabei nur Sex im Kopf gehabt hatte.
Forschen Schrittes überwand Mika den Rest der Treppe. »Du wirst es schon noch merken, Timea Illay«, schimpfte Mika den Flur entlang. »Du liebst mich. Ob du willst oder nicht.« Schnell schloss sie die Zimmertür hinter sich, um die Zweifel auszusperren. Damit auch wirklich nichts in ihr Schlafzimmer dringen konnte, lehnte sie sich noch mit dem Rücken an die Tür. Das Bett fest im Blick.
Darin war es bestimmt kalt.
Warum war sie überhaupt hier? Sie hätte doch in ihrer Wohnung bleiben können.
Allerdings ohne Timea. Und dann wären Mika die fünfundzwanzig Quadratmeter viel zu groß vorgekommen.
Also: Schäfchenzählen war angesagt und dann schlafen.
Während sie sich auszog, grübelte Mika vor sich hin. Bei welcher Zahl war sie eigentlich gestern Nacht stehengeblieben? Schmunzelnd legte sie sich ins Bett. Genau sieben flauschige, weiße Wollknäuel waren über den Zaun gesprungen. Und ein schwarzes. Mit Mikas Gesicht. Kein Wunder, dass sie immer wieder von vorn hatte anfangen müssen. Weil dieses schwarze Schaf ständig für Unruhe gesorgt und die anderen vom Springen abgehalten hatte. Es gab halt so viel zu erzählen. Derweil das schwarze Schaf schon wieder damit begann, merkte Mika, dass sie doch langsam müde wurde.
Für Timea Illay begann der nächste Morgen mit der Gewissheit, dass sie etwas Falsches getan hatte. Das Erstaunliche war, dass sich dieses Falsche unglaublich richtig anfühlte. Vielleicht war sie deshalb wach, ohne die Augen aufzubekommen.
Wie viel Schlaf brauchte man eigentlich, wenn die Hormone innerhalb weniger Stunden zu einem Sammelsurium aus singenden, schwingenden, lauten und
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