Feuerflügel: Roman (German Edition)
Greifs Fell strich, seine schlaffen Flügel, sein verkniffenes Gesicht und dann wie eine leuchtende Rauchwolke von ihm aufstieg – und Schatten wusste, es war vorbei.
Goth bäumte sich auf und wieder zurück, und der Körper von Schattens Sohn flatterte zur Erde wie ein zerrissenes Blatt und ließ das intensive schöne Bündel aus Licht und Klang mit seiner Drehbewegung in der Luft zurück.
Das Leben seines Sohnes.
Was Schatten als Nächstes sah, war das Schrecklichste, was er je erlebt hatte – schrecklicher noch als der eigentliche Mord. Goth stieß Luna zur Seite, wirbelte um den pulsierenden Nebel aus Klang und Licht herum, sammelte ihn mit den Flügeln und schob gierig seine Schnauze direkt hinein.
„Nein!“, rief Schatten. Wut strömte ihm wie Lava aus Augen und Kehle.
Goth öffnete das Maul und seine Brust blähte sich mächtig auf, als er Licht und Klang in sich einsog. Greifs Leben einatmete. Das Licht ging in ihn hinein. Der Klang ging in ihn hinein. In Goths Körper hinein.
„Geschafft!“, brüllte Goth, als er das letzte Fünkchen verschlungen hatte.
„Wir werden ihn fangen!“, rief Java, die sich neben Schattens Flügelspitze befand. Goth blickte hoch und sah, wie sie alle auf ihn zugestürzt kamen. Er hatte jetzt ein Leben in sich, aber es war das Leben eines geschwächten Jungtieres, und Goth musste wissen, es würde nicht reichen, um jetzt in der Schlacht zu triumphieren. Er wirbelte herum zum BAUM und schoss auf das Astloch zu.
Schatten änderte seine Flugbahn, um Goth den Weg abzuschneiden. Er würde ihn fangen und im Genick packen und mit Zähnen und Klauen Greifs gestohlenes Leben wieder herausreißen. Er kam hinter Goth herabgeschwungen, keine zehn Flügelschläge entfernt, und er spürte, wie eine mächtige Strömung ihn kopfüber zum Astloch zog.
„Goth!“, rief er.
Mit einem letzten Flügelschlag beschleunigte Goth auf den BAUM zu mit einer Geschwindigkeit, wie sie kein Geschöpf auf natürliche Weise erreichen kann. In Schattens Augen und in seinem Echo-Sehen wurde er zu einem verschwommenen Fleck, als er durch das Astloch fegte und sofort verschwand. Entkommen. Schatten bremste scharf, wehrte sich mit aller Kraft gegen den Sog des BAUMS und drehte gerade noch rechtzeitig ab. Die Flammen versengten seinen Bauch und die Unterseite der Flügel.
Er kreiste, murmelte zu sich selbst. Er starrte auf das Astloch, konnte kaum glauben, dass Goth ihm entkommen war. Dann drehte er und flog zu der Stelle zurück, auf die er Greifs Körper hatte fallen sehen.
Greif öffnete die Augen und erblickte seinen Vater neben sich, der sein Gesicht an ihn presste.
„Du leuchtest“, sagte Greif benommen.
Sein Vater nickte, und Greif fühlte die merkwürdige Wärme seiner Tränen.
„Was ist los?“, fragte er verwirrt. Dann sah er Luna zu seiner Rechten und noch vier andere Fledermäuse, die ihm vertraut waren, obwohl er sich an ihre Namen im Augenblick nicht erinnern konnte.
„Es tut mir Leid“, sagte sein Vater. „Ich war nicht schnell genug.“
Greif schaute auf die massive feurige Säule des BAUMS, die sich über ihm auftürmte. Sie befanden sich nicht weit von seinem Fuß. Die Erde stieg zu seinem Stamm hin an, einige der brennenden Wurzeln krümmten sich durch den Boden nach oben. Greif konnte die Hitze spüren. Er sah das Astloch, erinnerte sich, wie kurz er davor gewesen war, hineinzufliegen – und jetzt spürte er die ersten untergründigen Regungen von Panik. Er zwang sich dazu zu horchen, und bemerkte keinen Herzschlag. Sein Herzschlag war von Goth gestohlen worden.
Er war tot.
Schmerz erwachte in seinem Hals und der Brust und er zuckte zusammen und betrachtete seine Verletzungen. Er würde jetzt nicht nach Hause zurückkehren. Es war zu schrecklich zu verstehen, und er schob den Gedanken immer wieder weg, er wollte nicht, dass er ihm zu nahe kam, wollte nicht seine volle, schreckliche Form verstehen.
„Papi?“, fragte er ängstlich. „Was wird passieren?“
„Es ist in Ordnung“, sagte sein Vater. „Alles wird in Ordnung kommen. Wir schaffen dich nach Hause. Warte hier.“
Greif nickte, dann besetzte ein Kälteschauer die Stelle, wo früher sein Herz geschlagen hatte. Er schlang einen Flügel um seinen Vater.
„Papi, tu es nicht, okay?“
„Ist schon in Ordnung, Greif.“ Vorsichtig machte sich Schatten frei.
„Geh nicht weg.“ Greif zitterte, seine Stimme war schwach und verzweifelt. „Ich wollte mit dir nach Hause gehen.“
„Tu jetzt, was ich dir
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