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Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen

Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen

Titel: Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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ganz bei dir. Du bringst dein inneres Geschwätz zum Schweigen und richtest
deine Achtsamkeit auf deinen Atem.«
    »Reite
auf dem Atem«, hatte Lama Rhinto Rinpoche vor Beginn der Meditation gelehrt,
»sei wie ein Reiter auf seinem Pferd – treibe es vorwärts ohne Ablenkung und
ohne seitwärts gerichtete Blicke.«
    »Du
nimmst den Atem hinein«, sagte Swensen zu sich, »du spürst die Luft in die
Nasenlöcher eindringen, spürst wie die Bauchdecke sich vorwölbt. Dann lässt du
los. Du gehst mit dem Ausatmen hinaus, spürst wie der Atem sich auflöst.
Einatmen, Pause, ausatmen, Pause. Mist! Mist! Mist!«
    Der
Schmerz war stärker. Er schob sich über jede Konzentration, ließ nur noch einen
einzigen Gedanken zu. Schmerz!
    Es
war ihm, als wenn Luzifer persönlich seinen Finger durch die Erdkruste hindurch
gegen seinen Knöchel drückte, drückte und drückte. Er wusste aus Erfahrung,
dass eine Sitzkorrektur nichts bringen würde. Das war eindeutig eine Sache des
Kopfes. Schließlich hatte er in den letzten Wochen genau so ohne jede Form von
Schmerz dagesessen.
    »Schmerz
ist ein guter Lehrmeister«, sickerten ihm die Worte von Meister Rinpoche in den
Kopf. »Richtet die Aufmerksamkeit auf ihn. Erkundet ihn genau. Nehmt ihn an wie
einen Freund.«
    Kurz
darauf hörte er nichts mehr. Der Schmerz machte seine Gedanken taub, brüllte
ihm seine ganze Existenz entgegen. Sein Nacken verspannte sich. Es hämmerte,
pochte, zog hinunter bis zu den Zehen. Je mehr er versuchte, in seinen Körper
hineinzuspüren, umso intensiver steigerte sich die Qual. Jeder Gedanke wurde zu
einem ewigen Schmerz. Er selbst wurde zum Schmerz. Ein Martyrium. Er hätte
schreien mögen. Plötzlich zog es ihn hinab. Er versank in ein schwarzes Loch,
aus dem ihm ein feines goldenes Rautenmuster entgegenstrahlte. Das Bild
erschien so realistisch, dass er glaubte, nach dem erhabenen Relief greifen zu
können. Bevor er es berühren konnte, zerfiel es zu feinem Goldstaub, rieselte
zu Boden und formte eine farblose Totenmaske, die sich in ein lebendiges
Gesicht verwandelte. Swensen erkannte es sofort. Es war das Antlitz eines
Polizisten, den er einmal allein vor einer Horde von Demonstranten stehen
gesehen hatte. »Enteignet Axel Springer«, klang es in seinen Ohren. »Enteignet
Axel Springer!«, hörte er sich selbst in den Chor der Menge einstimmen.
    Bei
einem Dokusan (Einzelgespräch) vor einigen Wochen berichtete er dem
Meister von dieser Begebenheit. Es war in der wilden 68er Zeit gewesen. Ein
Protestmarsch bewegte sich auf das Axel-Springer-Haus in Hamburg zu. Dort kam
es zu einer Auseinandersetzung mit der Polizei. Swensen brachte sich mit einer
größeren Gruppe in einer Seitenstraße in Sicherheit. Ein einzelner Polizist
hatte sich bei der Verfolgung eines Demonstranten aus seiner Einheit gelöst und
war in diese Seitenstraße geraten. Unerwartet stieß er dabei mit erhobenem
Schlagstock auf eine Horde von Männern und Frauen, die ihm wie eine Front
gegenüberstand. Swensen hatte dem jungen Beamten einen kurzen Moment in seine
entsetzten Augen gesehen, bevor dieser panisch, unter dem Gejohle der Meute,
die Beine in die Hand nahm und flüchtete.
    Seit
dem Dokusan war das Gesicht fast regelmäßig bei seinen Sitzmeditationen
aufgetaucht. Irgendwie wollten ihn die weit aufgerissenen Augen nicht mehr
loslassen. Für ihn wurden es die Augen eines kleinen Jungen, der die Gewalt in
der Welt nicht begreifen konnte. Sie wurden zu seinen Augen, seinem naiven
Blick, kurz nachdem er aus Husum in die Welt hinausgestürmt war und in Hamburg
Philosophie studiert hatte, bis die Welt plötzlich über ihn hinweggestürmt war.
Als Benno Ohnesorg auf einer Demonstration gegen den Schah von Persien
erschossen worden war, hatte er sich in diesem tibetischen Tempel in der
Schweiz verkrochen. Hier glaubte er Erlösung zu finden, Erlösung von dieser
gewaltvollen Welt. Doch er musste lernen, dass selbst sein Meister Rinpoche mit
dieser Welt verwoben war.
    1959
musste er schon als junger Mönch mit zweiundzwanzig Jahren, über den Himâlaya
nach Indien flüchten. Es gab damals deutliche Anzeichen, dass Chinas
Kommunisten gewaltsam in Tibet einfallen wollten. Die Odyssee des kleinen
Mannes führte über Nepal nach Indien und endete in der Schweiz. Hier im Exil
erreichte ihn die Nachricht, dass sein geliebter Meister Naramgyal an den
Grausamkeiten im chinesischen Gefängnis gestorben war.
    »Die
Welt ist wahr, offen, scharf, genau und überaus farbig. Du kannst

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