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Das einsame Haus

Das einsame Haus

Titel: Das einsame Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Borell
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1

    In den Türklopfer aus Bronze waren die Buchstaben C und H eingraviert.
    »Wie hübsch«, sagte Cornelia und legte ihren Zeigefinger auf die beiden Buchstaben. »Wenn wir es mieten können, werden wir allen Leuten erzählen, es seien unsere beiden Vornamen: Cornelia und Hans.«
    Ich klopfte zum zweiten Male, aber auch diesmal blieb es totenstill in dem Haus. Wir hatten auch gar nichts anderes erwartet. Mehr aus Neugier als in der Erwartung, die Tür könne nicht verschlossen sein, drückte ich auf die Klinke. Sie gab nach, die Tür ging auf.
    Vor uns lag eine große, dämmrige Diele, fast schon eine kleine Halle. Die bunten Vorhänge an den Fenstern waren zugezogen, ein paar alte Möbel standen in dem Raum, ein blutroter Afghanteppich bedeckte den Fliesenboden vor dem offenen Marmorkamin.
    »Komisch«, sagte Cornelia. »Wieso ist die Tür nicht verschlossen, wenn doch niemand zu Hause ist?«
    »Hallo!« rief ich halblaut. Es ist nicht angenehm, plötzlich vom Besitzer überrascht zu werden, wenn man unaufgefordert sein Haus betreten hat. »Hallo!«
    Plötzlich hörte ich hinter mir Cornelias erstickten Schrei. Ich fuhr herum. Sie stand da, die Augen vor Entsetzen weit aufgerissen, und ihre Hand deutete wie erstarrt an mir vorbei.
    »Da!« flüsterte sie. »Da...«
    Ich drehte mich um, folgte der Richtung ihrer Hand.
    Und da sah ich ihn sitzen.
    Er war fett, kahlköpfig und blaß. Er saß in dem breiten, hochlehnigen Ohrenbackensessel, der in der Ecke neben der Treppe stand.
    Sein Mund stand halb offen, wirkte in dem aufgeschwemmten, fahlen Gesicht wie ein schwarzes Loch.
    Die Augen, große graue Basedowaugen über Tränensäcken, starrten uns glasig an.
    Ich spürte Cornelias Fingernägel in meiner Hand.
    »Er ist tot«, stammelte sie. »Er ist tot!«
    Ich versuchte zu überlegen, was zu tun war. Wir waren unbemerkt in dieses Haus eingedrungen, wir konnten uns genauso unbemerkt verdrücken. Was ging uns dieser Tote an?
    Wir konnten auch zur nächsten Polizeistation fahren und unsere grausige Entdeckung melden. Dann würde man eine Menge Fragen an uns richten, vielleicht würde man uns nicht einmal glauben. Es konnte Scherereien geben. Vor allem aber wäre unser freier Nachmittag verpatzt.
    »Komm«, sagte ich zu Cornelia. »Komm — wir gehen.«
    Ich fühlte, wie sie zögerte. Kaum verständlich sagte sie:
    »Wenn er... aber doch noch...lebt? Vielleicht muß man einen Arzt...«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Ich weiß, wie Tote aussehen. Komm... ehe uns jemand hier findet.«
    In diesem Augenblick geschah etwas noch viel Grauenhafteres.
    Der Mund des Mannes bewegte sich, die toten Lippen wurden lebendig, aber die Augen blieben starr. Und da sagte dieser Totenmund laut und gut verständlich:
    »Ich bin unschuldig...«
    Der bleiche Kopf sank auf die Brust, der schwere Körper neigte sich ein wenig nach vorn, und dann fiel der Mann vornüber auf den Boden.
    Während wir noch unfähig waren, irgend etwas zu tun — wir konnten uns nicht bewegen, konnten nicht schreien, gar nichts —, hörte ich draußen vor dem Haus einen Motor aufheulen. Auch Cornelia hörte ihn. Wir hielten uns an der Hand und schauten uns an.
    Dann riß ich sie mit mir hinaus. Ich kannte das harte, giftige Brummen meines hochgetrimmten Motors.
    »Bleib hier«, rief ich ihr vor der Haustür zu, während ich schon weiterrannte, zur Einfahrt hinter der dichten Fichtenhecke.
    Ich kam zu spät.
    Mein kirschrotes Glas-Sportcoupé war verschwunden.

    Der Landpolizist zündete sich den erloschenen Zigarrenstummel zum drittenmal mit der gleichen Ruhe an. Über die Streichholzflamme hinweg schaute er abwechselnd Cornelia und mich an.
    »Also«, sagte er, »das klingt ja reichlich merkwürdig. Vielleicht können Sie mir alles noch mal erklären, aber bitte vielleicht der Herr allein. Wenn Sie beide immer gleichzeitig reden, kapiere ich gar nichts.«
    Ich warf Cornelia einen vernichtenden Blick zu, weil es ihr immer und überall schwerfiel, mich allein reden zu lassen, dann fing ich von vorn an:
    »Also, Herr Wachtmeister, das war so: wir wohnen am Stadtrand. Und wenn wir Zeit haben, fahren wir in der Gegend spazieren. Wir sind dabei schon oft an diesem einsamen Haus vorbeigekommen. Irgendwie fällt es einem doch auf, so ganz allein am Waldrand, zwei oder drei Kilometer vom nächsten Dorf entfernt. Aber gerade diese Lage hätte uns gut gefallen, weil wir doch eine Wohnung hier draußen auf dem Lande suchen. Und seit uns dieses Haus zum erstenmal aufgefallen

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