Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen
heimzusuchen. Doch
das Bild ist nur eine Täuschung, kommt von der jungen Eiche auf der
Straßenseite gegenüber, die im Halblicht einer Straßenlampe glänzt. Seine Sinne
verwischen die Grenze zwischen Sein und Nichtsein. Er ist in einer Hölle, wohin
er sich auch wendet. Das Klappen einer Tür verwandelt sich in einen Beilhieb,
das Fleisch im Ladenfenster zum Armstumpf, ein Kinderweinen wird zum Wimmern.
Er sieht pulsierendes Blut, wenn er den Wasserhahn aufdreht oder entdeckt die
Form des Feuermals an einer verwitterten Hauswand. Seine Rache scheint ihm auf
den Fersen zu sein, lässt ihm keine Ruhe mehr. Jetzt hat sie auch noch deinen
Sohn geholt, denkt er. Ist das meine Schuld?
Er hatte die Mörderhand in der Plastiktüte aus dem Wilden Moor mitgebracht, sie zusammen mit dem Onkel seinem Ältesten präsentiert und ihm das
große Ehrenwort abgenommen, dass dies ein Geheimnis zwischen richtigen Männern
sei. Danach wurde die Hand gemeinsam ganz unten in der Gefriertruhe seines
Restaurants versteckt. Sein Onkel und er wollten sie am nächsten freien Montag
dem türkischen Staat direkt vor die Tür legen, in Hamburg, auf die oberste
Treppenstufe der türkischen Botschaft. Doch dazu war es nicht mehr gekommen.
Bevor sie losfahren konnten, hatte der Wirt aus dem Olympischen Feuer ihn angerufen und vor einer Lebensmittelkontrolle in Husum gewarnt. Die Hand
musste so schnell wie möglich aus dem Haus. Das Aphrodite war an diesem
Abend bis auf den letzten Stuhl voller Gäste gewesen. Der Onkel konnte die
Küche unmöglich verlassen, er selbst musste bedienen. Da hatte er die
Plastiktüte dem Ältesten gegeben und ihm gesagt, er solle sie in das türkische
Kulturzentrum in der Westerende werfen. Georgios war sehr stolz gewesen, dass
der Vater ihm diese gefährliche Aufgabe zugetraut hatte. Und er war stolz auf
seinen Sohn gewesen, der dadurch Anteil an seiner Rache nehmen konnte.
Jetzt ist diese Rache zu Asche verbrannt, denkt er und spürt Stiche in
der Brust. In dir ist kein Funke mehr. Deine Rache liegt wie Staub auf der
Seele.
Er
sieht den Bus kommen. Die Tür klappt auf. Er steigt ein, setzt sich und schaut
durch sein verschwommenes Abbild auf der Scheibe nach draußen. Es ist ihm, als
würde das eigene Spiegelbild ihn verhöhnen.
»Der
Narr wirft einen Stein ins Meer und tausend Weise können ihn nicht
herausfischen«, erinnert er sich an ein Sprichwort aus seiner Heimat.
*
Sein jüngster Sohn ist in der vorigen Woche neunzehn Jahre alt geworden.
Alexis wohnt in der Gausstraße, gegenüber der Hofeinfahrt des Thalia-Theaters.
Tagsüber arbeitet er in einem Friseurladen in der Friedensallee. Das Gehalt ist
nicht hoch. Nicos hofft, den Sohn in seiner Wohnung anzutreffen. Er klingelt an
der Haustür, obwohl es schon weit nach zehn Uhr ist. Eine quäkende Stimme
meldet sich im Lautsprecher.
»Dein
Vater ist da«, antwortet er und drückt die Tür während des Summtons auf. Im
Treppenhaus bleibt es trotz Beleuchtung düster. Er schleppt sich die Treppe
hinauf, spürt seine Angst vor der kommenden Nacht und seinen Träumen. Als
Alexis ihn in den Arm nimmt, kommen ihm die Tränen.
»Was
ist mit dir, Vater?«, fragt der Sohn erschrocken.
»Nichts
mein Sohn«, antwortet er und hält ihn in seinem festen Griff. »Ich freue mich
nur dich zu sehen!«
Im
selben Moment weiß er, dass er heute nicht über den Tod von Georgios mit ihm
reden kann. Er folgt seinem Sohn ins Wohnzimmer, kann seinen sehnsüchtigen
Blick nicht mehr von ihm lassen. Sein Herz hämmert laut vor sich hin, ansonsten
ist in ihm nur Leere. Er weiß, Alexis muss sie ab heute füllen. Er bekommt
jetzt seine ganze Liebe.
»Ich
hol uns was zu trinken, Vater! Möchtest du Retsina ?«
Er
nickt. Während sein Sohn in die Küche geht, dominiert der laufende Fernseher
den kleinen Raum. Aus der Ecke flimmern gerade die Bilder der zerfetzten
Vorortzüge von Madrid über die Mattscheibe. Die Stimme des Nachrichtensprechers
kommentiert: »Zwei Wochen nach den brutalen Bombenanschlägen auf die spanische
Hauptstadt hat das Innenministerium die Festnahme weiterer Terrorverdächtiger
vom 11. März bestätigt. Nach den neuen Festnahmen befinden sich jetzt achtzehn
mutmaßliche Täter in Polizeigewahrsam, darunter sollen sich dreizehn
Marokkaner, zwei Inder und auch Syrer befinden. Den Befehl für die Anschläge
hat nach Angaben eines Polizeisprechers der Ägypter Mur a d Paša gegeben. Mur a d
Paša ist ein Mittelsmann der Al-Qaida -Führung und er
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