Feuersturm: Roman (German Edition)
KAPITEL EINS
Tod und dazu ein Tröpfchen Magie.
Anya rümpfte die Nase, als sich die Ausdünstungen brennend in ihren Nebenhöhlen bemerkbar machten. Unweigerlich weckten sie den urtümlichen Kampf-oder-Flucht-Impuls im primitivsten Teil ihres Gehirns. Sie musste sich förmlich dazu zwingen, einen Fuß vor den anderen zu setzen, und ihre verschwitzten Finger spannten sich um den Griff ihres Arbeitskoffers. Jedem normalen Menschen hätte es freigestanden, vor diesen Gerüchen zu fliehen, aber Anya hatte keine Wahl. Sie war kein normaler Mensch. Und das hier war ihr Job.
In diesem Messiehaus roch es nach verbranntem Schinken, fettig und abstoßend. Der Gestank klebte an den Zeitungsstapeln auf dem Küchentisch, den gebündelten Ausgaben der National Geographic und den Kartons, die sich an den Wänden auf dem schwarzweißen Linoleum stapelten. Im Abwaschbecken lag Geschirr, überzogen von eingetrocknetem Spülmittel mit Zitronenaroma; der Mülleimer roch nach Kaffeesatz … doch all diese anderen Gerüche verblassten gegenüber dem Gestank, der durch die sich ablösenden Tapeten sickerte.
Ein Haufen Bullen drängelte sich an der Hintertür der Küche. Als hielte ein unsichtbares Hindernis sie davon ab, die Schwelle zu übertreten, verweilten die Uniformierten vor der Tür. Sie sprachen miteinander, leise und voller Anspannung. Von den gewohnten Witzeleien und dem üblichen Maulheldentum war nichts zu spüren. Sie schienen wie gelähmt, wollten den Tatort nicht verlassen, waren aber auch nicht bereit, das Haus zu betreten.
Jemand hatte das Fenster über der Küchenspüle einen Spalt weit geöffnet, sodass ein wenig Luft hereinkam. Anya streckte die Hand über dem Geschirr aus, um es weiter zu öffnen, in der Hoffnung, dass die hereindringende Luft den Gestank milderte. Ein schmieriger Belag auf der Scheibe verschleierte ihr Spiegelbild. Ihre latexumhüllten Finger hinterließen Streifen auf dem fettigen Glas. Trotz der Handschuhe erschauderte sie.
Anya legte den Kopf auf die Seite. Eine Strähne des kinnlangen, brünetten Haares rutschte über ihre bernsteinfarbenen Augen. Ihr Haar war vor einigen Monaten vollständig verbrannt und hatte nun das nervenaufreibende Stadium erreicht, in dem es noch nicht lang genug war, um es zu einem Pferdeschwanz zu binden. Mit der sauberen Hand strich sie es hinter ihr Ohr. Die Bewegung brachte einen kupfernen Halsring am Kragen ihres Schutzanzugs zum Vorschein. Der Metallsalamander ringelte sich um ihren Hals und hielt über ihrem Schlüsselbein seinen Schwanz umfangen, sodass seine beiden Enden ein V bildeten. Der Reif, pulsierend unter dem Einfluss seiner eigenen Präsenz, fühlte sich immer wärmer an als ihre Haut. In der Gegenwart des Todes war der Salamanderreif stets besonders aktiv; Anya war überzeugt, dass er den Tod ebenso deutlich witterte wie sie selbst. Für den Augenblick jedoch ignorierte sie ihn.
»Dachte mir, das würde Ihnen gefallen, Kalinczyk.« Captain Marsh stellte eine Kiste mit Werkzeug auf dem Küchentisch ab. Selbst in dieser erstickenden Enge trug ihr Vorgesetzter unter der offenen Jacke seiner Feuerwehruniform ein makellos gebügeltes weißes Hemd nebst Krawatte.
Anya zog die Brauen hoch. »Es stinkt, und sie denken automatisch an mich?«
Marshs mahagonibraune Züge verzogen sich zu einem schiefen Grinsen. »Hatte angenommen, dass es einige der anderen Brandermittler womöglich in Angst und Schrecken versetzt hätte.« Er verschränkte die Arme vor dem strahlend weißen Hemd. »Aber im Ernst … Wir dürfen bei dieser Sache kein Aufsehen erregen. Wir müssen Stillschweigen bewahren.«
Sie warf einen Blick auf die unordentliche, ärmliche Küche und runzelte die Stirn. An diesem Tatort deutete nichts darauf hin, dass Geheimhaltung geboten wäre. Trauer vielleicht … aber keine Geheimhaltung. Und sie war sicher, dass von den anderen niemand den scharfen Geruch der Magie wahrnehmen konnte, der für sie so unverkennbar war wie Ozon. »Vorgeschichte?«, fragte sie.
»Das Haus gehört einem zweiundsiebzigjährigen Mann, Jasper Bernard. Eine Nachbarin hat den Notruf alarmiert, weil sie merkwürdige Lichter gesehen und geglaubt hat, es wären Einbrecher im Haus.«
Mit einer Kinnbewegung deutete Anya auf den Küchentisch und sah Marsh fragend an. »Besitzt er denn irgendetwas, das es wert wäre, gestohlen zu werden? Irgendetwas, das man in diesem Saustall überhaupt finden könnte?«
»Tja, nun.« Marsh breitete die Hände aus. »Schätze, sie hat
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