Feurige Küsse
an diesen kurzen Wortwechsel denken, während sie nachdenklich den Hörer auf die Gabel ihres altmodischen Telefons, einer natürlich mit allen Raffinessen technisch aufgepeppten Antiquität, legte.
Unentschlossen biss sie sich auf die Unterlippe. Auch wenn sie die Hälfte von dem langatmigen, geradezu schwärmerischen Bericht Graziellas abzog, blieb immer noch genug übrig, um ihren stets präsenten Jagdeifer zu reizen. Es klang sogar sehr gut! Mit energischem Schwung schob sie ihren nappalederbezogenen Chefsessel zurück. Die Rollen glitten geräuschlos über das Ahornparkett, das sie sich damals eigentlich noch gar nicht hatte leisten können.
Klack, klack – wer gerne Pumps mit hohen Absätzen trägt, muss sehen, dass er den passenden Bodenbelag dazu einbaut.
„Signora Trevigiani, ich komme heute nicht mehr ins Büro. Ich will ein Villino bei Casalzuigno anschauen – also bitte nur in den dringendsten Fällen per Mobil, ja?“
„Selbstverständlich, Signora Bragato! Wenn Sie nichts mehr für mich haben, könnte ich dann heute auch früher gehen? Ich bin gleich mit allem fertig und wollte noch meine Mutter im Krankenhaus besuchen.“
Laura nickte geistesabwesend.
„Stellen Sie aber den Anrufbeantworter an. Dottore Bianchi könnte wegen seiner Eigentumswohnung anrufen.“
Graziella hatte nur unwesentlich übertrieben: Wunderbare Proportionen, die von den französischen Fenstern noch unterstrichen wurden. Ein wenig vernachlässigt das Ganze, aber ihr geschulter Blick erfasste sofort die Qualität des Ursprünglichen. Auch der parkartige Garten, den sie durch das schmiedeeiserne Gitter des Zufahrtstors überblicken konnte, zeigte deutliche Ansätze, wieder zur Wildnis zu mutieren. Doch davon abgesehen: ein Traum! Ein absoluter Traum.
Vor ihrem inneren Auge lief bereits im Schnelldurchlauf die Renovierung ab, die Gartenbaufirma rodete die zu mächtigen Rhododendren und beschnitt die Kamelien – jetzt musste sie sich allerdings noch vom Zustand im Inneren ein Bild machen.
Direkt neben dem bronzenen Klingelknopf bewies ein mit Computer geschriebenes DIN-A4-Blatt in Plastikhülle, dass Graziella sie zu Recht alarmiert hatte. Vendesi …Aber keine Adresse oder Telefonnummer, die einen Hinweis auf Verkäufer oder Maklerbüro gegeben hätte. Seltsam!
Zögernd, aber magisch angezogen, drückte sie auf den abgegriffenen Bronzeknopf. Ganz entfernt und gedämpft hörte sie die melodische Klangfolge.
Nichts geschah.
Etwas unmutig drückte sie nochmals, diesmal ein wenig länger. Und auf einmal schwangen die beiden Torflügel auf – langsam, ruckend, in den rostigen Angeln wie aus Protest quietschend.
Der Kiesweg zur portalgesäumten Eingangstür war vermutlich seit Jahren nicht mehr gesäubert worden und deshalb von mehrjährigen Schichten abgestorbener Blätter bedeckt. Der Regen der vergangenen Tage hatte sie weich und rutschig gemacht. Bei jedem vorsichtigen Schritt versanken ihre teuren Wildlederpumps viel zu tief im modrig-schimmelig riechenden Untergrund.
Die 20 Meter erforderten ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit, und so wäre sie vor Schreck fast doch gestolpert, als unmittelbar die Tür aufging.
„ Scusi, Signora, ich habe das Klingeln zwar gehört, stand aber gerade auf der Leiter. Was kann ich für Sie tun?“
Die Einfahrt fegen! Laura verkniff sich jede bissige Bemerkung, die ihr überhaupt viel zu leicht herausrutschte. Sie wollte etwas von ihm, nicht wahr? Vorsichtig balancierend stieg sie, betont anmutig mit ihrem besten Model-Hüftschwung, die Stufen hinauf und strahlte den Mann an.
„ Buona sera, Signor. Ich interessiere mich für dieses Anwesen. Können Sie mir sagen, an wen ich mich da wenden muss?“
Weiße Zähne blitzten zwischen dunklen Bartstoppeln auf. „Vermutlich an mich! Soviel ich weiß, bin ich, nein, war ich der einzige Neffe von Tante Giusy. Leider. Jetzt hängt der alte Kasten mitsamt dem ganzen Ärger an mir.“
Das wurde ja immer besser!
„Mein Name ist Laura Bragato, ich bin Immobilienmaklerin. Es dürfte kaum Probleme geben, Ihnen den Ärger abzunehmen und Ihr Haus gut zu verkaufen, wenn wir uns einigen. Natürlich müsste ich es noch von innen sehen …“
Leichtes Stirnrunzeln. War sie zu forsch gewesen?
„Angenehm, Stefano Clerici. – Wissen Sie, irgendwie ist das schon komisch! Da stehe ich gerade auf der Leiter und denke, was ich jetzt wohl als Nächstes tun sollte, wäre, einen Makler zu beauftragen – und Simsalabim: Da stehen Sie vor der Tür.
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