Fey 04: Die Nebelfestung
ihm nicht von hinten entrissen werden konnte.
Der dritte Mann war Nicholas nicht unbekannt, aber es dauerte einen Moment, bis er ihn einordnen konnte. Er war jung, untersetzt und hatte dichtes, blondes Haar. Seine Augen glühten in einem elektrisierenden Grün. Er trug ein schlecht gefärbtes Hemd – auf der Vorderseite war die Farbe zu einem großen Fleck zusammengelaufen – und eine braune, mehrfach geflickte Hose. Seine Stiefel waren schlammbedeckt, und die Kleider sahen feucht aus.
Seine Hände waren gefesselt.
»Luke, nicht wahr?« fragte Nicholas.
Der Mann nickte, ohne Nicholas anzusehen.
Luke hatte einem Trupp Soldaten angehört, der vor ungefähr fünf Jahren in die Gefangenschaft der Fey geraten war. Sein Vater hatte Lukes Leben durch einen Handel gerettet, indem er angeboten hatte, im Schattenland zu bleiben, wenn die Fey Luke die Freiheit schenkten. Luke hatte gehen können und durfte einmal im Jahr seinen Vater sehen, aber die Fey hatten irgend etwas mit ihm angestellt. Etwas Merkwürdiges.
Sobald er mit Weihwasser in Berührung kam, begann Luke grün zu leuchten.
Nach seiner Rückkehr war Nicholas mit ihm zusammengetroffen und hatte Lord Stowe gebeten, den Jungen im Auge zu behalten. Luke hatte einmal bei Jewel vorgesprochen, um die Freilassung seines Vaters zu erreichen. Nach diesem Treffen hatte sie ihr Volk leise verflucht. Auf Nicholas’ Frage hatte sie nur barsch erwidert, daß sie nichts machen könne. Weder jetzt noch in Zukunft.
Seither hatte Nicholas Luke nicht mehr gesehen.
»Der Junge hat darum gebeten, gefesselt zu werden, bevor wir ihn herbringen«, sagte Lord Stowe. »Aber er wollte nur mit Euch reden.«
»Wie könnt Ihr dann sicher sein, daß er mir mit seiner Geschichte nicht so früh am Morgen die Zeit stiehlt?« fragte Nicholas.
Lord Stowe sah Nicholas überrascht an, als müßte er sich an dessen neuen, harschen Ton erst gewöhnen. »Luke ist vor einigen Stunden in mein Haus gekommen, durchnäßt und mit einem Messer bewaffnet. Er sagte, er komme direkt vom Tabernakel, und er roch nach Weihwasser.«
Nicholas stellte seine Tasse ab. Er erhob sich und war jetzt auf gleicher Höhe mit Luke. »Du leuchtest nicht.«
»Es läßt nach, Sire«, erwiderte Luke, ohne aufzublicken.
»Was ist so wichtig, daß du mich beim Frühstück störst?«
Luke senkte den Kopf so tief, daß ihm das strähnige blonde Haar in die Augen fiel. »Ich habe versucht, den Rocaan zu töten.«
Stowe trat einen Schritt von dem Jungen zurück. Der Kammerdiener umfaßte das Heft seines Schwertes.
»Habt Ihr das gewußt?« Nicholas richtete seine Frage an Stowe.
»Ich wußte nur, daß er vom Tabernakel kam, und daß es etwas mit Matthias zu tun hatte. Und daß er Euch sehen wollte. Auf der Stelle.«
»Möchtest du, daß ich dich einsperre?« fragte Nicholas. »Das hätte Lord Stowe ebensogut erledigen können.«
Außerdem wußte Nicholas gar nicht, ob er das überhaupt wollte. Der Junge hatte genau das getan, was Nicholas auch gern tun würde.
»Ich weiß nicht, ob Euch das nicht vielleicht schadet.« Luke hob den Kopf und schüttelte sich das Haar aus dem Gesicht. Endlich konnte Nicholas den Ausdruck in seinen grünen Augen deuten. Es war Furcht.
»Dann erzähl mir alles«, sagte er.
In den Jahren, die Nicholas Luke nun schon kannte, war dessen Gesicht breiter geworden, aber er sah immer noch jung aus. Nur der unschuldige und hoffnungsvolle Ausdruck früherer Zeiten war aus seinen Augen gewichen.
Luke hatte gehofft, daß sein Vater eines Tages das Schattenland würde verlassen können und daß dann alles anders würde.
Diese Hoffnung hatten sie alle einmal gehabt.
»Ich war gestern mit der Arbeit auf dem Hof beschäftigt, als ich hörte, was geschehen war. Es tut mir so leid, Sire. Ich … Sie … nun ja, sie hat mich aus dem Schattenland herausgeholt. Sie hat damals die Verhandlungen geführt.«
Nicholas nickte. Das war ihm nicht neu. Er wußte auch, daß sich der Junge so heftig in Jewel verliebt hatte, daß es Nicholas Angst eingejagt hatte. Nachdem Luke Jewel einmal allein getroffen hatte, wollte Nicholas nicht, daß der Junge seiner Frau noch ein zweites Mal begegnete.
»Mir ging es wirklich schlecht. Ich arbeitete trotzdem weiter und dachte darüber nach. Ich trauerte auf meine Art um sie. Ich fragte mich, ob ihr Tod bedeutete, daß mein Vater freikommen würde, oder ob er für immer dort bleiben mußte, und dann hörte ich plötzlich eine Stimme. Sie war leise, und ich kann mich nicht
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