Fey 04: Die Nebelfestung
gehen«, bot Luke an. »Vielleicht ist es das beste. Etwas Schlimmeres können sie mir nicht mehr antun.«
»Wer weiß«, sagte Nicholas. »Aber noch kann ich dir nicht völlig vertrauen. Ich weiß nicht, was geschieht, wenn du im Schattenland bist. Ich muß jemand anderen schicken.«
Der Kammerdiener löste die Fesseln von Lukes Händen.
»Was sollen wir jetzt mit ihm machen?« fragte Stowe.
»Wir müssen dich irgendwo einschließen«, erwiderte Nicholas, »obwohl ich wünschte, es wäre nicht nötig. Es besteht jedoch kein Grund, ihn in eine Zelle zu stecken. Gibt es in Eurem Haus einen sicheren Platz, Mylord?«
»Es gibt dort einen Trakt, der sicher und bequem ist.« Stowe runzelte leicht die Stirn. Nicholas kannte diesen Trakt. Vor Hunderten von Jahren war es ein kleiner Turm gewesen, den Stowes Großvater für die Dienstboten umgebaut hatte. Diesen hatte es dort jedoch nicht gefallen, die fehlenden Fenster hatten sie gestört. »Ich werde ihn dorthin bringen.«
»Es ist mir gleich, ob es bequem ist«, sagte Luke. »Es muß vor allen Dingen sicher sein. Ich will niemanden töten. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie jemandem etwas zuleide getan. Ich könnte es nicht verwinden.«
»Wenn du es doch tätest«, sagte Stowe beruhigend, »dann wäre es nicht deine Schuld. Es wäre die Schuld der Fey.«
»Nein«, erwiderte Luke, und seine Stimme klang traurig. »Es wären meine Hände. Meine Tat. Wenn ich bei meinem Vater geblieben wäre, dann wäre vielleicht alles anders gekommen.«
»Das wissen wir nicht«, antwortete Nicholas. »Wir wissen nicht, wie alles hätte anders kommen können.«
So anders, daß vielleicht Jewel jetzt noch am Leben wäre. Eine schmerzhaft tiefe Sehnsucht nach seiner Frau ergriff plötzlich von Nicholas Besitz. Er wandte sich von den drei Männern ab, ging zu dem Tisch und ergriff seine Tasse. Der Tee war kalt.
»Ich muß unbedingt mit der Schamanin reden«, sagte Nicholas. »Vielleicht kann sie dir helfen.«
»Jewel sagte, das sei unmöglich. Der Zauber sei zu tief in mich eingedrungen.«
»Vielleicht«, entgegnete Nicholas. »Ich fange langsam an zu begreifen, daß es einige Dinge gab, von denen auch Jewel nichts wußte.«
Wie Arianna. Er hatte keine Ahnung, was mit dem Kind passiert wäre, hätte Jewel es ohne den Beistand der Fey zur Welt gebracht. Die Heiler der Inselbewohner hätten hilflos vor diesem Kind gestanden.
»Wenn die Angelegenheit damit erledigt ist, Hoheit«, sagte Stowe, »bringe ich Luke zu meinem Haus.«
Nicholas nickte. Er drehte sich herum und drückte die Tasse gegen die Brust. »Ich werde alles für dich tun, was in meiner Macht steht«, sagte er.
»Ich hatte solche Angst, Ihr würdet meinen Tod fordern«, sagte Luke. »Solche Angst, daß ich alles nur noch schlimmer gemacht habe.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, wie man die Lage noch verschlimmern könnte«, antwortete Nicholas.
Stowe und Luke verneigten sich und verließen den Raum. Der Kammerdiener folgte ihnen und zog die Tür hinter sich zu.
Nicholas stand allein vor dem knisternden Feuer. Er hielt immer noch die Tasse mit dem lauwarmen Tee in der Hand. Wie hätte er diesem Jungen sagen können, daß ihn dessen Tat nicht im mindesten erzürnte? Irgend jemand mußte Jewel rächen. Hätte Luke mit seinem Attentat Erfolg gehabt, wäre alles so viel einfacher.
So viel einfacher.
Kein Matthias mehr, um den man sich Gedanken machen mußte. Die Rocaanisten wählten sich einen neuen Rocaan, und auf der Insel kehrte wieder der Alltag ein.
Aber es sollte nicht sein.
Es sei denn, Nicholas sah tatenlos zu. Dann rächten womöglich die Fey Jewels Tod doch noch.
Und ruinierten dabei ein unschuldiges Leben.
Nicholas aber hatte geschworen, dieses Leben zu schützen. Und obwohl es Matthias gewesen war, der ihm den Eid abgenommen hatte, galt dieses Gelübde immer noch. Nicholas’ Vater wäre enttäuscht, wenn Nicholas seine Pflichten als König nicht erfüllte.
Und Jewel wäre ebenfalls enttäuscht. Sie hatte ihr ganzes Leben lang das Beste für ihr Volk gewollt. Sogar dann, als sie ihn heiratete.
Ganz besonders in dem Moment, als sie ihn heiratete.
Nicholas trat ans Fenster und zog den Vorhang zurück. Das war wirklich eine Ironie des Schicksals. Jewel wäre die einzige, die verstanden hätte, warum er sie nicht selbst rächen konnte.
4
Adrians kleine Hütte war zu seinem Zuhause geworden. Mend hatte ihm geholfen, sie ein bißchen wohnlich zu machen. Zum Inventar gehörten eine
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