Fey 08: Im Zeichen der Schwerter
war im Moment nicht nötig.
Rugad nahm zwei Stufen auf einmal und schlang dabei das Brot herunter. Er nickte jedem Fey zu, an dem er vorbeikam, und alle nickten zurück, erstaunt über die ungewohnte Aufmerksamkeit.
Wenn es nötig war, jedem einzelnen seiner Leute ins Gesicht zu blicken, um ihren Kampfgeist zu heben, würde er das eben tun. Dann würde sich vielleicht nicht in Jahn und dessen unmittelbarer Umgebung das Gerücht verbreiten, der Schwarze König sei zu schwer verletzt, um zu regieren.
Denn das würde die Uneinigkeit nur noch verschlimmern.
Als Rugad den Fuß der Treppe erreicht hatte, erblickte er vor dem Hauptportal seine neue Adjutantin Selia. Sie stand, die Hände auf den Rücken gelegt, in untadeliger Haltung da. Was nicht recht dazu passen wollte, war, daß sie unablässig Daumen und Zeigefinger nervös aneinanderrieb.
»Selia!« bellte Rugad. Das Wort kam als ziemlich lautes, nasales Krächzen heraus. Ein wellenartiger Schmerz durchfuhr seine Kehle, aber Rugad achtete nicht darauf. Der Schmerz war ein geringer Preis für eine Stimme, die endlich wieder trug.
Selia fuhr herum und nickte, als sie Rugad erkannte.
»Steht meine Kutsche bereit?«
»Ja, Herr«, antwortete sie eilfertig. »Ich habe ein paar zusätzliche Wachen als Begleitschutz angefordert …«
»Nein«, unterbrach Rugad sie. Er wollte sowenig Wachen mitnehmen wie möglich, und in der Kutsche selbst gar keine haben. Diese ganzen Gerüchte waren nur durch seine Verwundung ausgelöst worden. Jetzt mußte Rugad seinem Volk demonstrieren, daß er sich auf dieser Insel nicht fürchtete und wieder kräftig genug war, um auf sich selbst aufzupassen. »Nur die Spione, wie besprochen, und über mir ein paar Irrlichtfänger.«
»Jawohl, Herr.« Selia verbeugte sich.
Rugad trat näher, legte ihr die Hand unter das Kinn und hob ihr Gesicht dicht vor seines. »Daß ich ohne Leibwächter ausfahre, gefällt dir nicht, was, Selia?«
Selia kaute auf ihrer Unterlippe. Rugad fragte sich, ob sie selbst es merkte.
»Nein, Herr«, gab sie leise zu.
»Vertraust du deinen eigenen Landsleuten nicht? Mit ihnen treffe ich mich doch.«
»Aber was ist mit den Inselbewohnern, Herr? Wenn sie sehen, daß du allein und unbewacht bist …«
»Du meinst, dann töten sie mich?« fragte Rugad. Daß die Moral so tief gesunken war, hatte er nicht geahnt. Ein Schwarzer König hatte als absolut unverwundbar zu gelten, nicht als wehleidiger Feigling, um den sich sein eigenes Volk Sorgen machte, sobald er die Nase aus der Tür steckte.
Mit einem solchen Problem hatte sich Rugad noch nie herumschlagen müssen.
Er mußte es schleunigst aus der Welt schaffen.
Am besten fing er gleich damit an.
»Ja, Herr«, erwiderte Selia. »Ich habe Angst, daß sie es versuchen.«
Rugad legte den Kopf in den Nacken, damit er auf sie herunterblicken konnte. Dann grub er den Fingernagel in ihr Kinn.
»Du glaubst wirklich, ich treffe mich mit meinen eigenen Leuten, besichtige die Ruinen einer einstmals stolzen, prächtigen Stadt, die wir dem Erdboden gleichgemacht haben, und dann drängt sich so ein unverschämter Inselbewohner unbemerkt durch Hunderte von Fey und kommt nahe genug an mich heran, um mir etwas anzutun?«
Selia blinzelte unmerklich, aber es entging Rugad nicht. Er merkte genau, wie Zweifel sie beschlich.
»Daran hatte ich nicht gedacht, Herr.«
»Was mir passiert ist«, fuhr Rugad fort, der sich Zeit nahm, Selia zu überzeugen, weil sie als seine Sprecherin schließlich alles, was er sagte, weitergab, »ist ganz normal, wenn unter den Mitgliedern der Schwarzen Familie Zwietracht herrscht. Das kannst du nicht wissen, weil sich die Schwarze Familie zeit deines und auch meines Lebens einig war. An diesem ganzen Streit sind nur die dummen Fehler meines Sohnes schuld, die ich jetzt wieder ausbügeln muß. Kein hergelaufener Inselbewohner kann mir etwas anhaben. Und meine Urenkel werden es nicht wagen, jetzt, wo ihr Vater nicht mehr König ist.«
Rugad lächelte. Selia machte große Augen.
»Niemand kann mir etwas anhaben«, wiederholte Rugad mit Nachdruck.
»Aber in deinem Zimmer«, begann Selia noch einmal, schlug dann aber erschrocken die Hand vor den Mund. Sie lernte bereits, ihre Zunge zu hüten.
Sehr gut.
Sie würde Weißhaars Beispiel nicht vergessen.
Rugad lächelte noch breiter. »Du meinst den Golem. Glaubst du, daß er mir Schaden zugefügt hat?«
»Du hast Verletzungen davongetragen, Herr.« Selia sprach durch die Finger, denn sie war klug genug,
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