Fieber an Bord
überlas noch einmal sein Logbuch, während über ihm eine Laterne hin und her schwankte.
Gestern den ganzen Tag über und während der langen Nacht waren sie unter so viel Leinwand gesegelt, wie sie setzen konnten. Niemand hatte diesmal von Risiko oder Vorsicht gesprochen, und er hatte Männer bemerkt, die zur Seite sahen, wenn sein Blick sie streifte.
Er sah zu den Heckfenstern und erkannte verwundert, daß hinter ihnen bereits der Morgen zu dämmern begann. Plötzlich fühlte er sich leer und entmutigt. Noddall hätte ihn aufmerksam gemacht. Wäre um ihn herum geschäftig gewesen.
Er dachte an die gesichtslosen Bündel, in Hängematten eingenäht, die im Meer versenkt worden waren, während er zugesehen hatte. Es hätte zehnmal schlimmer sein können, aber es half ihm nichts, sich daran zu erinnern.
Wayth, der für den Großmast zuständige Deckoffizier, Sloper, einer der Zimmerleute, der mehr als jeder andere dazu beigetragen hatte, daß die selbstgebaute Jolle so gut gelungen war. Marinesoldat Kisbee vom Großmast. Der alte Vollmatrose Fisher. William Goalen, zweiter Steuermannsmaat, Noddall, Kajütensteward, und außerdem zu viele andere. Im ganzen waren fünfzehn getötet worden und ebenso viele verwundet. Und wozu? Tod für manche, Entlassung für andere, und Beförderung für die Glücklichen, die ihre Posten übernahmen.
Er rieb sich wieder die Augen und versuchte, seine Trauer zu überwinden.
Es klopfte an der Tür, und Midshipman Swift trat in die Kajüte.
»Mit Mr. Keens Hochachtung, Sir, wir haben gerade im Norden ein Licht gesichtet.«
»Ein Schiff?« Er fluchte im stillen auf sich selbst, daß er die Meldung als Frage zurückgab. Er stand auf und brachte das dicke Buch in seinem Schreibtisch unter. »Ich komme hinauf.«
Er hatte sich dem Anschein nach auch in Herrick geirrt. Das Licht mußte der Schoner sein. Trotz des Umspringens des Windes war es merkwürdig, daß er schon so weit gekommen sein sollte. Er dachte an den Wind, und wie oft sie ihn in der Vergangenheit schon verwünscht hatten. Als Lakey ihm die plötzliche Richtungsänderung gemeldet hatte, war es ihm schwergefallen, seine Gefühle zu verbergen.
Auf dem Achterdeck war die Luft beinahe kühl nach der Hitze des Tages und der muffigen Enge unten. Ein rascher Blick auf den Kompaß, das flatternde Großsegel und den Besan zeigte ihm, daß der Wind unverändert anhielt und das Schiff nach Norden lief. Die Insel lag irgendwo querab an Backbord. Wenn dieser Wind nicht gewesen wäre, hätten sie vielleicht zwei Tage oder noch länger gebraucht, hin- und herkreuzend, um das Südende der Insel zu umfahren, ehe sie die Suche nach dem Landeplatz des Schoners aufnehmen konnten.
Er nahm von Swift ein Glas entgegen und war sich bewußt, daß mehr Leute als die diensthabende Wache an Deck waren, beobachteten und warteten.
Er fand das Fahrzeug auf der Stelle, und schon in den wenigen Augenblicken, seit Swift ihm das Schiff gemeldet hatte, war das Licht so viel stärker geworden, daß er den dunkleren Flecken wahrnehmen konnte, welcher der Großmast des Schoners sein mußte.
»Wie schnell die Dämmerung kommt.« Das war Mackay, der Erste Steuermannsmaat. Es klang völlig gelassen. Vielleicht war er froh, daß sein Maat Goalen und nicht er selbst in eine Hängematte eingenäht, an den Füßen mit einer Kanonen-kugel beschwert, ein paar hundert Faden in die Tiefe gesunken war.
»Ja.« Lakeys Mantel knisterte am Kompaßgehäuse, als er sich im Dämmerlicht wie ein unruhiger Hund schüttelte.
»Und in zehn Minuten wird dir die Heiligheit die Augen blenden.«
Ganz wie der Steuermann vorausgesagt hatte, fegte das Tageslicht bald über die Inseln wie beim Öffnen eines Vorhangs.
Bolitho beobachtete den Schoner, spürte dessen Unsicherheit, als er über Stag ging, dann zögerte, als ob er abdrehen wollte.
Midshipman Swift rief vom Mastkorb, wohin Keen ihn geschickt hatte: »Keine Rotröcke an Bord zu entdecken, Sir.«
»Zum Teufel!« Borlase war aufgetaucht. »Sie müssen sie zurückgelassen haben. Oder ...« Er beendete den Satz nicht.
»Signalisieren Sie ihm, beizudrehen.« Bolithos Stimme schnitt alle Spekulationen wie mit einem Beil ab. »Machen Sie das Boot klar, Mr. Borlase.«
Bolitho beobachtete, wie die Wellentäler sich von Schwarz zu Tiefblau veränderten, von finsterer Bedrohung zu freundlicher Täuschung.
Er spürte, wie seine Besorgnis einer unvernünftigen Ungeduld wich. »Und alarmieren Sie Mr. Brass. Er soll einen Schuß vor
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