Filzengraben
Hausflur, die Treppe nach oben. Die anderen Gäste, die um die Theke herumstanden, kümmerten sich nicht um die beiden.
DrauÃen war es dunkel geworden, als er sich wieder anzog. Sie hatte einen Kerzenstummel angezündet, ihr Körper warf groteske Schatten an die Wand. Ihr halb entblöÃter Busen wippte aufreizend, während sie Unterrock und Rock ordnete. Erst danach zog sie die Kordel am Ausschnitt ihres Hemdes zusammen. Sittsam gekräuselt zierte er jetzt ihre Brust. Vor der Zimmertür knarzte die Holztreppe.
»Einen halben Gulden bekomm ich.«
Das Mädchen lächelte nicht mehr, ihr Gesicht war kühle Berechnung.
»Aber ⦠Du hast doch gesagt â¦Â«
»Das Bier. Ich zahle das Bier für dich, habe ich gesagt. Du warst es, der mehr wollte. Einen halben Gulden!« Fordernd streckte sie die Hand aus.
Giacomo schluckte. »Ich habe kein Geld â¦Â«
»Dann wirst du dirâs verdienen.«
Sie prüfte noch einmal den Sitz ihres Hemdes und öffnete die Tür. Zwei Männer standen davor, der eine hatte die Ãrmel seines Rocks hochgekrempelt, in der Rechten hielt er ein Messer. Giacomo erkannte ihn wieder. Er hatte neben der Tür gesessen, als er mit dem Mädchen nach oben verschwand. Das Gesicht des anderen war ihm fremd. Unter schwarzen, schimmernden Haaren lauerten dunkle Augen. Ein Römer, dachte er, oder von noch weiter südlich.
» Accomodati! «, sagte der Dunkle sehr sanft und zeigte auf einen Schemel. Er hatte ein überraschend feines Gesicht mit einer auffällig hohen Stirn.
»Du willst also arbeiten. Ich glaube, wir hätten da etwas für dich.«
Der Mann mit dem Messer drückte Giacomo unsanft auf den Hocker. Seine Finger gruben sich so tief ins Schlüsselbein, dass Giacomo aufschrie.
FÃNF
Nach der Totenmesse am Sonntagmorgen in Sankt Laurenz kam es zum Eklat. Cettini stellte sich Johann Maria Farina in den Weg.
»Ihr wagt es, hierherzukommen und fromm zu tun! Ihr seid es doch, der sie auf dem Gewissen hat.«
Er hatte fast gebrüllt, alle hatten es gehört.
Niemand rührte sich, keiner sagte etwas, auch Dalmonte war wie gelähmt.
Im ersten Moment befürchtete er, dass der Kaufmann sich auf den Journalschreiber stürzen wollte. Doch der drehte sich weg und ging, die Menge teilte sich und lieà ihn durch. Dalmonte bemerkte, dass Farina ihn mit den Augen suchte. Oder bildete er es sich nur ein? Hoffte er auf Unterstützung, weil sie Landsleute waren und im Valle irgendwie jeder mit jedem versippt war?
Aber er kam Farina nicht zu Hilfe. Er lieà ihn stehen wie einen Sack fauler Pomeranzen, inmitten der Leute, die schon jetzt anfingen, sich den Mund über ihn zu zerreiÃen. Gierig hatten sie Cettinis Worte aufgegriffen. Wisperten, tuschelten, zischelten, zeigten mit den Fingern auf den Mann, dessen Haus gerade an der nächsten Ecke lag und, wie man sich hinter vorgehaltener Hand erzählte, auf Schulden gebaut war.
1709 hatte Giovanni Battista, der Ãlteste der Farina-Brüder, zusammen mit Balthasar Borgnis in der GroÃen Budengasse ein Lädchen für französische und italienische Waren eröffnet. Die Kölner drängten sich vor ihrer Tür, um die feinen Tücher, Knöpfe, Schnallen, Bänder, Handschuhe, die aus Katzendarm geflochtenen, mit Perlmutt, Gold, Silber und Steinen verzierten Reitgerten, die Seifen und Lavendelwasserfläschchen zu bewundern. Vor allem die Frauen flanierten gern an dem Geschäft vorbei, kicherten und gerierten sich wie unreife Jungferndinger, selbst dann noch, als längst bekannt wurde, dass die beiden gut aussehenden Lombarden in ihrer Heimat treue Ehefrauen hatten.
Ein paar Jahre später waren die beiden jüngeren Brüder Johann Maria und Carl Hieronimus nach Köln gekommen und ins Geschäft eingetreten. Aber wieder wurden die ledigen Kölnerinnen enttäuscht. Auch Carl Hieronimus war schon vergeben und zog bald nach Düsseldorf, wo er sich mit einem eigenen Laden selbstständig machte. Und der unverheiratete Johann Maria schien aus unerfindlichen Gründen die schönen Rheinländerinnen zu meiden. Dabei konnte er so auÃerordentlich liebenswürdig und zuvorkommend sein.
Aber mit Freundlichkeit allein lässt sich kein Geschäft führen, dachte Dalmonte. Da war ein winziger Hauch Schadenfreude in ihm. Er spürte es, sie tat ihm gut. Und gleichzeitig schämte er sich. Während
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