Finnisches Blut
sein Vater dabei seinen Einfluß genutzt hatte, nahm die Arbeitsstelle aber an. Tiere mochte er schon immer, und außerdem wollte er sich die Mühe der Suche nach einer Stelle ersparen. Mit jedem Jahr, das verging, gefiel ihm seine Arbeit weniger, er wollte zurück ins wahre Leben, heraus aus dem engen und stillen Kämmerlein des Forschers. Morgens lag er oft noch lange im Bett und überlegte, wozu er überhaupt aufstehen und in die alltägliche Tretmühle steigen sollte.
Wie bisher immer beschloß er auch diesmal, seine Probleme irgendwann später zu lösen, erhob sich, schlurfte ins Bad und ging unter die Dusche.
|27| Nach dem Waschen und Rasieren fühlte sich Ratamo frisch und munter. Er hatte keine Lust, die Kaffeemaschine zu benutzen, sondern kochte Wasser und brühte sich eine Tasse Kaffee auf. Mit einem Schinkenbrot in der Hand überflog er die Überschriften in der Tageszeitung. Im Kaukasus wurde immer noch Krieg geführt, und der Kurs von Nokia stieg weiter. Die Sportseiten las er genau. Ferrari war der Favorit für den Grand Prix von Belgien am kommenden Wochenende. Venus Williams hatte die US-Open in New York gewonnen. Und dann fand Ratamo endlich das, was er gesucht hatte: In der Fußballmeisterschaft hatte HJK Helsinki Valkeakoski mit 2:0 besiegt. Der Tag fing gut an.
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Helsinki badete im Licht der Augustsonne. Ratamo fuhr in Richtung Vallila, das Dach seines VW hatte er geöffnet. Er liebte den Sommer und fühlte sich locker und energisch. Aus den Autolautsprechern erklang J. J. Cales Countryblues, und er sang den Text des lässigen Songs mit. Die Kassette hatte er so oft abgespielt, daß sie schon etwas ausgeleiert war.
Der Käfer bog auf den Hof der Hämeentie 57 ab und schlängelte sich auf dem Weg über das weitläufige, eingezäunte Gelände der Veterinärmedizinischen Fakultät und der EELA bis zum Nordende des Grundstücks.
Ratamo parkte seinen Wagen vor dem Hauptgebäude und stieg die Treppen hinauf in die zweite Etage, in der sein Arbeitszimmer lag. Als erstes sah er auf seinem Stuhl ein Fax und griff danach.
Die Universität Manila bestätigte der Forschungsgruppe in Helsinki, daß sich die beiden Affenjäger, die an Ebola gestorben waren, bei den nach Finnland verschickten Affen angesteckt hatten. Die beiden Männer hatten Obst gegessen, das nach ihren Beobachtungen auch von den Affen berührt worden war. Laut dem Fax hatte man auf den Philippinen alle Kartierungen und Tests gemacht, außer den Affenjägern war niemand an Ebola erkrankt. Ratamo seufzte vor Erleichterung. Auch auf den Philippinen hatte sich das Virus nicht ausbreiten können. Allerdings bestätigte das Fax auch endgültig, daß |29| Ebola-Helsinki vom Affen auf den Menschen übertragen wurde, was wiederum bedeutete, daß auch Menschen einander anstecken konnten. Die Ergebnisse ihrer Tests stimmten also. Sie hatten ein echtes Killervirus gefunden.
Ratamo stand da und versuchte seine Gedanken zu ordnen. Sollte er die Formel des Gegenmittels und eine Zusammenfassung des Geschehens der letzten Nacht in das Untersuchungsprotokoll eintragen oder erst Manneraho informieren?
»Morgen!« sagte plötzlich eine junge, stark geschminkte Frau. Ratamo erschrak und machte ein Gesicht, als hätte er gerade einen Schneemenschen gesehen.
»Manneraho fragt schon den ganzen Vormittag nach dir, er ist echt wütend.« Sie setzte sich auf den Besucherstuhl.
»Hallo, Liisa. Erschrecke einen alten Mann nicht so. Das kann dir eine Anklage wegen Totschlag einbringen. Wie geht’s?« Ratamo zog die linke Augenbraue hoch und schaute die Forschungssekretärin spitzbübisch an. Eine solche Mimik zeigte er auf Arbeit nur selten und nur wenigen. Manchmal hatte er das Gefühl, daß er es ohne Liisa nicht einen einzigen Tag in diesem Zimmer aushalten würde. Er redete kaum mit den Kollegen, aber Liisa war eine Ausnahme, sie beide plauderten oft auch noch nach der Arbeit in der Kneipe weiter. Liisa spielte ihm nicht irgendeine Rolle vor und konnte auch über anderes reden als über die Arbeit.
Auch Liisa mochte Ratamo, obwohl der sich nach Meinung der meisten anderen EELA-Mitarbeiter merkwürdig benahm. Er war ein ausgezeichneter Forscher – dann, wenn er sich ernsthaft mit seiner Arbeit beschäftigte, was allerdings selten vorkam. Doch er hatte eindeutig ein Problem mit seiner Einstellung. Er kam zu spät, vergaß die Termine von Treffen und verhielt sich den anderen gegenüber arrogant. Nur die wenigen, |30| die ihn gut kannten, wußten, daß
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