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Finsteres Gold

Finsteres Gold

Titel: Finsteres Gold Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carrie Jones
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hier nur Bäume und Erde und Kälte, zumindest im Winter. Den Frühling kenne ich noch nicht. Jetzt gerade sehen die kahlen Äste der Bäume aus wie die Arme von Ertrinkenden, die nach Rettung flehen. Ich starre unverwandt auf die Rinde und sehe die Umrisse von Geistern. Die dunklen Knubbel, wo früher einmal Äste waren, erinnern mich an schreiende Münder.
    Dennoch renne ich an den Bäumen vorbei, die den Weg säumen, biege hinter dem Bauhof den Hügel hinauf ab und folge dem Weg. Ich denke darüber nach, dass Devyn lieber nicht in Cassidy verliebt sein sollte, weil er und Issie einfach für einander bestimmt sind. Und ich denke darüber nach, dass ungefähr jeder in diesem Universum das zu wissen scheint, außer Devyn. Und in diesem Augenblick höre ich es. Das Geräusch ist gedämpft, aber es kommt definitiv von einem Menschen.
    Mmrph …
    Ein krabbeliges Spinnengefühl breitet sich über meine Haut aus.
    »Mist.«
    Ich bleibe stehen. Ich lausche. Ich ziehe mein Handy heraus und tippe 911, aber ich drücke nicht auf Verbinden. Denn im Ernst, was sollte ich sagen?
    Hallo. Hier ist Zara. Ich bin bei den Gleisen direkt hinter dem Bauhof, und ich meine, etwas zu hören. Außerdem habe ich dieses krabbelige Gefühl auf der Haut. Es ist wie … äh … ich glaube, das bedeutet, dass der Elfenkönig in der Nähe ist.
    Aber das kann nicht sein. Denn der Elfenkönig ist in einem Haus auf der anderen Seite der Stadt eingesperrt, und das bedeutet …
    »Ich halluziniere«, verkünde ich.
    Mmrph …
    Das Geräusch kommt von links. Mein Kopf fliegt in die Richtung. Ich suche den Waldboden nach Spuren ab. Da sind keine Spuren. Zumindest keine Fußspuren, aber etwas erregt meine Aufmerksamkeit. Ich hocke mich hin und berühre den Schnee. Dort liegt Staub, allerdings nur ein winziges bisschen, und er glitzert.
    Okay. Ich halluziniere nicht.
    Elfenkönige hinterlassen Glitzerstaub. Normale Elfen? Eigentlich nicht.
    Der Wind pfeift durch die kahlen Äste. Einer ächzt, als ob der Druck zu groß wäre und er am liebsten einfach abbrechen und zu Boden krachen würde. Ich kenne dieses Gefühl.
    Mmrph …
    Das Geräusch klingt dringend, und ich weiß, was es ist. Es ist eine Stimme. Es ist eine gedämpfte Stimme, und das bedeutet höchstwahrscheinlich, dass da jemand Schwierigkeiten hat. Ich drücke die Kurzwahl für Nick. Er ist bei der Arbeit, deshalb nimmt er nicht ab. Handys sind im Krankenhaus verboten. Klar! Wie blöd von mir. Sein Anrufbeantworter geht ran.
    »Hallo, Nick. Ich bin’s«, flüstere ich und drehe mich langsam, um nach Verfolgern Ausschau zu halten, »Ich bin bei den Gleisen in der Nähe vom Bauhof. Beim Joggen. Ich glaube, ich höre was. Okay. Ja. Ich werde nachsehen. Wenn ich nicht wieder anrufe, bin ich tot oder so. Ja, gut. Also, tschüss dann.«
    Mmrph.
    Ich schleiche über den knirschenden weißen Untergrund und spähe vorsichtig hinauf in die Baumkronen, um sicherzustellen, dass dort oben nichts darauf lauert, herabzuspringen und mich anzugreifen. Das ist paranoid, ich weiß, aber ein Mangel an Paranoia kann sehr gesundheitsschädlich sein. Ich denke über Phobien nach. Das ist mein Ding! Ich sage sie zur Beruhigung vor mich hin.
    Albuminurophobie – die Angst vor einer Nierenerkrankung.
    Philemaphobie oder Philematophobie – die Angst vor dem Küssen.
    Genuphobie – die Angst vor Knien.
    Es hilft nicht. Ich bin noch keine zehn Meter im Wald, da entdecke ich die Geräuschquelle. Ein junger Mann. Er ist an eine dicke Kiefer gefesselt. Er ist blond. Sein Mund ist mit Klebeband verklebt, und um seinen Körper ist Stacheldraht gewickelt. Das Einzige, was ihn aufrecht hält, ist der Draht und, wie ich vermute, das, was von seinem Willen noch übrig ist. Die Elfen haben ihn fast getötet.
    Wenn nicht er der Elf ist. Vielleicht ist er derjenige, mit dem Nick seinen Zusammenstoß hatte. Aber Nick hätte ihn doch nicht einfach gefesselt und hier zurückgelassen, oder?
    Die Antwort lautet: Vielleicht doch.
    Mein Magen krampft sich zusammen. Die Augen des Typen schauen mich flehentlich an. Er sieht aus, als würde er gleich sterben. Elf hin oder her. Ich renne zu ihm und streife meine Handschuhe ab. Sie fallen neben seinen Füßen auf den Boden, wo sich neben seinen Lederschuhen eine dunkle Pfütze gebildet hat. Es fängt an zu schneien, dicke, schwere, wassergefüllte Flocken fallen auf uns herab, die so groß sind wie mein Daumen. Ich zerre an dem Stacheldraht, aber er ist so kalt, dass er auf meiner Haut brennt.

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