Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote
in Bedrängnis bringt.«
Burrich wandte sich ab. Er erschien mir wie eine schwarze Silhouette in dem halbdunklen Raum. Der Ausdruck seines Gesichts im Feuerschein war nicht zu deuten. »Morgen sprechen wir uns«, setzte er an.
»Nur, um ›Lebwohl‹ zu sagen«, fiel ich ihm ins Wort. »Mein Entschluss steht fest, Burrich.« Ich berührte den silbergefassten blauen Stein in meinem Ohrläppchen.
»Wenn du hierbleibst, bleibe ich auch.« In seiner Stimme lag wilde Entschlossenheit.
»Nein, so läuft das nicht«, widersprach ich. »Einst hat mein Vater dir befohlen, zurückzubleiben und einen Bastard für ihn großzuziehen. Nun befehle ich dir fortzugehen, um einem König zu dienen, der deiner bedarf.«
»FitzChivalric, ich werde nicht …«
»Bitte.« Ich weiß nicht, was er aus meiner Stimme heraushörte, nur dass er plötzlich verstummte. »Ich bin so müde. So unendlich
müde. Das Einzige, was ich weiß, ist, dass ich nicht fä hig bin zu tun, was man von mir erwartet. Ich kann es ein fach nicht.« Meine Stimme klang brüchig wie die eines alten Mannes. »Was immer meine Pflicht wäre. Welche Schwüre ich auch geleistet habe. Es ist nicht ge nug von mir üb rig, um mein Wort zu halten. Das mag nicht recht sein, aber ich kann es nicht ändern. Anderer Leute Pläne, anderer Leute Ziele. Niemals meine eigenen. Ich habe mich bemüht, aber …« Das Zimmer schwankte, als spräche durch mich ein anderer und als wäre ich entsetzt über das, was dieser sagte. Doch die Wahrheit seiner Worte ließ sich nicht leug nen. »Ich möchte jetzt allein sein«, sagte ich einfach. »Um mich auszuruhen.«
Burrich und auch Jonqui schauten mich wortlos an. Sie verließen den Raum, langsam, als hofften sie, ich würde mich besinnen und sie zurückrufen. Ich tat es nicht.
Doch nachdem sie fort wa ren und ich mit mir allein war, gestattete ich mir einen tiefen Seufzer. Die Ungeheuerlichkeit der Entscheidung, die ich getroffen hatte, machte mich ganz benommen. Ich würde nicht nach Bocksburg zurückkehren. Was nun werden sollte, wusste ich nicht. Ich hatte die Scherben meines bisherigen Lebens vom Tisch ge fegt, jetzt war Platz zu sichten, was mir geblieben war, und neue Pläne zu schmieden. Allmählich kam mir zu Bewusstsein, dass ich von keinerlei Zweifel befallen war. Mein Bedauern kämpfte zwar an gegen meine Erleichterung, aber bei allem hatte ich keinerlei Zweifel. Irgendwie erschien es mir sehr viel erträglicher, in eine Zu kunft zu ge hen, in der nie mand wusste, wer ich gewesen war. Eine Zukunft, die keinem fremden Willen Untertan war. Auch nicht dem Willen meines Königs.
Es war vollbracht. Ich legte mich hin, und zum ersten Mal seit Wochen fühlte ich mich vollkommen entspannt. Lebt wohl, dachte ich müde. Ich hätte gerne allen Lebwohl gesagt, hätte gerne ein
letztes Mal vor mei nem König gestanden und gesehen, wie er mir zunickte: Du hast richtig gehandelt. Vielleicht hätte ich ihm meine Beweggründe für meinen Abschied erklären können. Es sollte nicht sein. Zu Ende dieser Teil meines Lebens, unwiderruflich zu Ende. »Es tut mir leid, mein König«, flüsterte ich und starrte in die tanzenden Flammen des Kaminfeuers, bis der Schlaf mich übermannte.
KAPITEL 1
SYLTPORT
T hronfolger oder Kronprinzessin zu sein, bedeutet, den Bogen zwischen Verantwortung und Autoritätrichtig zu spannen. Es heißt, die Position wurde dafür geschafen, das Streben eines Thronerben nach Macht zu befriedigen und ihn gleichzeitig in deren Ausübung zu schulen. Der älteste Spross der königlichen Familie wird an seinem sechzehnten Geburtstag in diesen Rang erhoben. Von dem Tag an trägt der Thronfolger oder die Thronfolgerin in vollem Maße mit an der Verantwortung für die Sechs Provinzen. Im Allgemeinen übernimmt er oder sie jene Pflichten, die dem jeweiligen Monarchen am missliebigsten sind, weshalb die Aufgabenbereiche von Thronfolgern naturgemäß erheblichen Veränderungen unterworfen sind.
Unter König Listenreich wurde Prinz Chivalric Thronfolger. Sein Vater übertrug ihm alles, was mit den Grenzen und der Außenpolitik zu tun hatte. Dabei handelte es sich um das Militär und die Diplomatie sowie um die Unbequemlichkeiten langer Reisen und die erbärmlichen Bedingungen auf Kriegszügen. Als Chivalric abdankte und Prinz Veritas die Thronfolge antrat, erbte dieser die ganze Last des Seekriegs mit den Outislandern und den daraus entstandenen Unfrieden zwischen den Inland- und Küstenprovinzen. Seine Aufgabe wurde nicht gerade
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