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Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote

Titel: Fitz der Weitseher 02 - Der Schattenbote Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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in die ich wies, doch ich wusste, er konnte nichts sehen. Dennoch legte er mir guten Willens die Hand auf die schma le Schulter und kniff angestrengt die Augen zusammen, als vermöchte sein Wille die Mauern und Meilen zwischen ihm und meiner Vision zu überwinden. Gerne wäre ich so blind gewesen wie er. Unwillkürlich betrachtete ich meine abgehärmte Hand, die nach der seinen auf
meiner Schulter griff. An einem knochigen, dünnen Finger trug ich an meinen grotesk verdickten Knöcheln den königlichen Siegelring. Dann wurde mein abwesender Blick von etwas angezogen, das sich in der Ferne abspielte.
    Meine ausgestreckte Hand deutete auf den stillen Hafen. Ich richtete mich höher auf, um mehr zu sehen. Wie ein Flickenteppich lagen die Häuser und Gassen der schlafenden Stadt vor meinem Blick ausgebreitet, dichter Nebel hing in Bodensenken und über der Bucht. Das Wetter wird umschlagen, war mein erster Gedanke. Ein kalter Luftzug ließ mich frösteln. Trotz der tiefschwarzen Nacht und trotz des Nebels hatte ich keine Schwierigkeit, alles deutlich zu erkennen. Die Weitsicht der Gabe, sagte ich mir und stutzte. Denn ich war eigentlich nicht fä hig, von der Gabe gezielt oder willentlich Gebrauch zu machen.
    Vor meinen Augen lösten sich zwei Schiffe aus der Nebelwand und lie fen in das Ha fenbecken ein. Ich vergaß, mich über mei ne plötzliche Beherrschung der Gabe zu wundern. Diese Schiffe waren schlank und schnittig, und obwohl im Mondlicht keine Farben zu erkennen waren, wusste ich, dass sie ei nen roten Kiel hatten. Rote Korsaren von den Fernen Inseln. Die Schiffe schnitten durch die sich kräuselnde Wasseroberfläche wie Messer, zerteilten den Nebel und glitten in den geschützten Hafen wie eine dünne Klinge in den Bauch eines Schweins. Die Ruder hoben und senkten sich lautlos in perfektem Gleichtakt. Lumpen in den Dollen erstickten jedes Geräusch. Das Anlegen erfolgte mit der Selbstverständlichkeit ehrsamer Handelsfahrer. Vom ersten Boot sprang ein Matrose leichtfüßig an Land und machte das Tau am Poller fest. Einer der Ruderer hielt das Schiff vom Kai fern, bis auch die Heckleine ausgeworfen und festgemacht war. Alles wirkte so gelassen, so kaltblütig. Das zweite Schiff vollführte das gleiche Manöver. Mit der Unverfrorenheit von Raubmöwen waren die Roten
Korsaren in den Ort gekommen und hatten am Heimathafen ihrer Opfer angelegt.
    Kein Ausguck stieß ei nen Warnruf aus. Kein Wächter blies das Horn oder warf eine Fackel in den vorbereiteten Holzstoß, um ein Signalfeuer zu entzünden. Ich hielt nach ihnen Ausschau und entdeckte sogleich, dass sie mit auf die Brust gesunkenenem Kinn müßig auf ih rem Posten verharrten. Jedoch hatte sich guter grauer Wollstoff unter dem Blutstrom aus ihren durchschnittenen Kehlen rot gefärbt. Ihre Mörder waren unbemerkt gekommen, von Land her und mit ge nauer Kenntnis der einzelnen Standorte, um die Warner verstummen zu lassen. Es gab niemanden mehr, den schlafenden Ort zu wecken.
    Viele Wächter waren es nicht gewesen. Das kleine Städtchen, eher ein Dorf, hatte nicht sonderlich viel zu bieten, kaum genug, um einen Punkt auf der Land karte zu recht fertigen. Weil es nichts zu holen gab, hatte man ge glaubt, vor derartigen Überfällen sicher zu sein. Zwar lieferten ihre Schafe beste Wolle, die zu feinem Garn versponnen wurde. Man fing und räucherte den Lachs, wenn er den Fluss hinaufkam; die Äpfel der Gegend waren kleingewachsen, aber süß und gaben einen guten Wein. Ein Stück die Küste entlang nach Westen lag eine ertragreiche Muschelbank. Solcherart waren die kleinen Reichtümer von Syltport, dennoch machten sie den Einwohnern das Leben hier lebenswert. Deshalb lohnte es keinesfalls den Aufwand, sich ihrer mit Fackel und Schwert bemächtigen zu wollen. Welcher verständige Mensch konnte annehmen, ein Fass Ap felwein oder ein paar Räu cherlachse wären einem Korsaren der Mühe wert?
    Aber dies waren Rote Korsaren, und ihnen gelüstete es nicht nach Reichtümern oder Schätzen. Sie hatten es nicht auf Zuchtvieh abgesehen, sie legten es nicht einmal darauf an, Frauen zu verschleppen oder junge Knaben zu rauben, um sie als Rudersklaven
zu missbrauchen. Die Wollschafe würden sie verstümmeln und abschlachten, die Lagerhäuser mit Pelzen und Weinfässern in Brand stecken. Gefangene machten sie zwar, aber dann doch nur, um sie in einer magischen Verwandlung zu entfremden und sie so und jeglicher Menschlichkeit beraubt als Pestgeschwür in unserer Mitte

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