Fleisch und Blut: Der Kannibale (German Edition)
vor dreissig Jahren im Stimmbruch steckengeblieben, konnte er nichts. Aber der Unterton in seiner Stimme und dieses Lachen waren hässlich und beängstigend.
«Die Leute nennen mich Reini», stellte sich Lex Reinwarth dem Kommissar vor. Das Grinsen verging ihm einfach nicht. Er führte Aemisegger durch den düsteren Gang, vorbei an einem Spiegel in die offene Küche mit Eckbank und Bartresen. Aemisegger glaubte, am Spiegel den Zeitungsbericht über den Knochenfund gesehen zu haben, doch es war viel zu dunkel, um es mit Sicherheit sagen zu können. Er schaute sich in der Küche von Reini um. Der Geruch war ungewöhnlich, unangenehm.
Neben den üblichen Geschirrschränken, hier in hellem Holz, verfügte die Küche über einen aussergewöhnlich grossen Kühlschrank mit einem ebenso übergrossen Tiefkühler. Auf dem Herd standen verschiedene grössere Kochtöpfe mit Suppen oder Saucen gefüllt. Es roch hier nach abgestandenem Fleisch. Messer verschiedenster Sorte lagen verstreut auf der Theke.
«Wir feiern demnächst ein Fest. Ich habe mich die letzten Tage mit Probekochen versucht.» In Reinis Stimme schwang etwas Feierliches mit.
Danach führte Reini den Kommissar weiter in ein Wohnzimmer. Als Aemisegger die beiden messerscharfen Schwerter an der Wand hängen sah, zitterten ihm für einen kurzen Moment die Knie. Die Vorstellung, dass Reini eines von der Wand hob und ihm kurzerhand den Kopf vom Leib trennte, machte ihm Angst. Wenn doch nur Köppel und Frau Fuchs endlich kämen.
Eine Treppe führte hinauf in ein weiteres Wohnzimmer mit Kachelofen. Als Aemisegger zur Couch blickte, zog es ihm den Magen zusammen. Seinem Gegenüber ging es genauso, wohl aber aus einem ganz anderen Grund: Remo Iseli versteckte schleunigst seinen Joint hinter dem Rücken und winkte dem Kommissar mit der anderen Hand zu: «Reini hat mich in sein Haus eingeladen. Coole Sache hier, es groovt total, finden Sie nicht auch.»
Kommissar Aemisegger wusste nicht, was er denken sollte, als er Remo Iseli da sitzen sah. Ihm war sofort klar, dass dieser sich in Gefahr befand. Das einzig Gute daran war, ihn lebend angetroffen zu haben.
Die Vorstellung, Reini könnte sich Remo Iseli schnappen, war grauenhaft. In diesem Augenblick erst realisierte Aemisegger, dass er sich in genau derselben Situation wie Iseli befand. Die Türe war verschlossen. Wenn er an die beiden Schwerter dachte, die im unteren Stock hingen, lief ihm ein eiskalter Schauer über den Rücken. Was sollte er tun, sollte er zu Remo Iseli vor Reini sagen: «Kommen Sie mit, Reini ist ein Menschenfressen?»
Dazu wäre er momentan nicht befähigt, er hatte keine Beweise und dürfte ohne Reinis Zustimmung noch nicht einmal das Haus betreten.
Der Kommissar musste schnellstmöglich hier raus. «Schön haben Sie’s hier», sagte er. «Was halten Sie davon, wenn Sie uns beiden Ihr Anwesen zeigen und wir einen Hofrundgang machen?» Er sah – die Flucht nach vorn oder eben, nach draussen – als einzigen Ausweg aus der Misere. Immerhin hatte er noch seine Knarre stecken. Dachte er. Als er sie in einem passenden Augenblick unauffällig abtasten wollte, wurde er eines Besseren belehrt. Die Pistole war weg! Scheisse.
Reini grinste immer noch. «Wir werden vielleicht später einen Hofrundgang zusammen machen. Doch vorerst möchte ich Ihnen etwas zum Essen anbieten. Und beleidigen Sie mich nicht, indem Sie es ablehnen», sagte er, während er die Tür hinter sich schloss.
Leibesspeise
Kommissar Aemisegger war seit einer halben Stunde nicht erreichbar und der Feierabendverkehr nerventötend obendrauf. Carla Fuchs und Kommissar Köppel beeilten sich, um zum elterlichen Hof des Verdächtigen Lex Reinwarth zu gelangen. Endlich kamen sie zur Verzweigung und bogen links in den Feldweg ein, der zur Adresse von Lex Reinwarth führen sollte. Auf dem Hügel angekommen sahen Sie schon von weitem den Wagen von Kommissar Aemiseggers. Köppel parkierte direkt daneben, blieb einen Moment sitzen und überblickte das Hofgelände.
Dann stiegen sie aus. Still war es hier. Kein Lebewesen zu sehen oder zu hören. Carla Fuchs ging, ohne ein Wort an Köppel zu verlieren, den Weg hinüber zur Scheune. Köppel folgte ihr kopfschüttelnd. Ihm war nicht wohl bei der Sache.
«Köppel, kommen Sie, schauen Sie!», flüsterte ihm die Detektivin zu. Sie klebte an den Fenstergittern und starrte in den Innenraum. Nun erblickte auch Köppel das Metallgestell, das
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