Das Pest-Gewölbe
Es gab nur wenige Dinge, die Vivian Greyson, die Verlegersgattin, mehr liebte als das Knistern der Geldscheine und das strahlende Funkeln kostbarer Juwelen.
Das war die Sucht nach Schönheit!
Vivian wollte schön sein, sie mußte schön sein, es gab einfach eine zu große Konkurrenz, und in einem Jahr wurde sie fünfzig. Ein magisches Alter, eine magische Zahl, an die sie nicht denken wollte, die sich aus ihrem Unterbewußtsein aber nicht verdrängen ließ. Das Alter konnte sie nicht beeinflussen, ihr Aussehen schon, und dafür tat sie alles.
Sie las die neuesten Rezepte, sie hatte Kuren hinter sich, sie war auf Schönheitsfarmen gewesen, die Frau hatte sich mit Spritzen und Packungen traktieren lassen, und sie war glücklich, wenn ihr jemand sagte, daß sie um zehn Jahre jünger aussah.
Die Tatsachen sprachen dagegen.
Nie sah sie frisch aus, wenn sie am Morgen aus dem Bett stieg. Sie und ihr Mann schliefen in getrennten Schlafzimmern, denn Vivian wollte nicht, daß Ronald sie am Morgen sah. Erst zum Frühstück erschien sie – frisch gestylt.
Natürlich hatte sie auch mit ihrem Mann über das Problem gesprochen, und der hatte ein gewisses Verständnis für sie gezeigt. Aber nicht nur das, er hatte ihr sogar versprochen, etwas für sie zu tun, und das hatte er tatsächlich geschafft.
Eines Tages hatte er ein geheimnisvolles Manuskript mitgebracht. Er hatte es ihr auf den Tisch gelegt und erklärt, daß darin ihre Schönheit und Zukunft läge.
Sie hatte es nicht glauben wollen und Fragen gestellt, aber er hatte nur gelächelt und ihr von einer gewissen Cosima berichtet, einer sehr schönen Frau, die einmal die Geliebte eines gewissen Nostradamus gewesen war, und die es geschafft hatte, ihn dazu zu bringen, ein Buch zu schreiben, das sich im Gegensatz zu den anderen Büchern nicht mit Voraussagen beschäftigte, sondern mit Kosmetik.
»Kosmetik und Magie!« hatte ihr Mann geheimnisvoll geflüstert. »Es wird dir helfen, Vivian.«
Sie glaubte alles, wenn es um ihre Schönheit und Jugend ging. In zwölf Wochen sollte das Buch auf dem Markt erscheinen, aber ein bestimmtes Rezept war von Spezialisten schon jetzt ausprobiert worden, und Ronald hatte seiner Frau den Tiegel mit einem geheimnisvollen Lächeln überreicht, zusammen mit einem Strauß herrlicher Blumen und den Worten, daß von nun an alles anders würde.
Vor dem Zubettgehen hatte sie die Creme aufgetragen. Sehr dünn nur, weil sie so kostbar war. Und dabei war ihr sofort der widerliche Geruch aufgefallen. Die Creme stank modrig, nach alten Hautfetzen, die aus tiefen Gräbern geholt worden waren, doch Vivian hatte nur an den Erfolg gedacht und den Ekel vor dieser neuen Verjüngungscreme unterdrückt.
Sie war dann zu Bett gegangen, hatte schlafen wollen, aber ihre Nervosität war einfach zu groß gewesen. Stundenlang hatte sie noch wach gelegen. Erst weit nach Mitternacht war sie eingeschlafen, und wirre Träume waren für den wenig erholsamen Schlaf verantwortlich.
Sie hatte sich durch ein Gewölbe irren sehen und war dabei auf eine Frau aufmerksam geworden, die eine silbrige Metallhaut hatte. Vivian hatte dabei vor einem schwarzen Spiegel gestanden.
Ein schrecklicher Traum, der kein Ende nehmen wollte.
Am Morgen war Vivian schweißüberströmt erwacht.
Sie hatte versucht, diesen Traum abzuschütteln. Es war ihr nicht gelungen. Sie mußte immer wieder an ihn denken, und diese Erinnerung hatte selbst den Gedanken an die Creme auf dem Gesicht vertrieben.
Sie dachte daran, als sie sich hinsetzte und ihre Schlafbrille abgenommen hatte.
Etwas verwirrt schaute sich Vivian in ihrem großen Schlafzimmer um.
Die Sonne ließ das Parkett golden schimmern. Der Begriff von einem goldenen Käfig kam ihr in den Sinn. So ähnlich würde sie sich in wenigen Jahren schon fühlen, wenn es ihr nicht gelang, den Alterungsprozeß zu stoppen.
Ihr Mann war zwar fünf Jahre älter als sie – aber was machte das schon bei seinem Geld und seinem Einfluß? Er konnte sich vieles kaufen, auch andere, jüngere Frauen. Männer wurden in derartigen Situationen als tolle Hechte oder Helden der Potenz gefeiert. Wenn Frauen das gleiche taten und sich jüngere Männer nahmen, lachte man sie oft genug aus, nicht zuletzt die eigenen Geschlechtsgenossinnen, denn gerade unter Frauen in bestimmten Gesellschaftsschichten war der Neid aufeinander besonders groß.
Meine Güte, die Creme!
Vivian wagte kaum, Atem zu holen. Sie hielt die Luft an und lauschte dabei dem eigenen Herzschlag.
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