Fleisch und Blut - Der Kannibale
miteinander gesprochen? War da irgendeine Bemerkung gefallen, die andeutete, welcher Spur Jürg Ambauen gefolgt war? Tägli wusste nur, dass Ambauen am Abend seines Verschwindens irgendwo hingefahren war. Wohin, wohin bloss?
Plötzlich kam in ihm ein Geistesblitz auf: «Fuchs!» Hoffnung überkam ihn.
«Warum bin ich nicht schon früher darauf gekommen!» Es klang wie eine Schelte, die er sich selbst erteilte.
Tägli tippte energisch nacheinander zehn Zahlen in der Tastatur seines Bürotelefons an. Es war die Nummer von Detektivin Carla Fuchs.
«Fuchs, wer ist am Apparat?», meldete sich die Detektivin.
«Carla, ich bin es, Felix, Felix Tägli von der Tageszeitung.»
«Felix! Ja hallo.»
«Carla, ich brauche deine Hilfe.»
«Du hörst dich schlecht an, Felix. Geht es dir nicht gut?»
Die beiden kannten sich durch ihre Arbeit seit Jahren. Der Chefredaktor war etwa im selben Alter wie die Detektivin oder wie es auch Kommissar Aemisegger war. Carla Fuchs war die Erste, die sich in ihr Privatleben zurückgezogen hatte. Sie betonte öfters, dass sie ihr Leben, das bislang von der Jagd nach Verbrechern geprägt gewesen war, gerne noch etwas anders gestaltet hätte und sich sonnigeren Seiten im Leben zuwenden wollte. Offenbar war ihr das aber nicht gegönnt – in den letzten fünf Jahren hatte sie mehr Aufträge gehabt als in ihren besten Detektiv-Jahren.
«Wie kann es mir unter diesen Umständen gut gehen?»
So kannte Carla Fuchs ihren Kollegen gar nicht. Er war stets besonnen und charmant. Ab und zu liess er sich sogar zum Scherzen hinreissen. Heute aber verhiess der Ton in seiner Stimme nichts Freudiges. Sie unterliess es, ihn in einen Smalltalk zu verwickeln, der ihr ja ohnehin nicht besonders lag, und fragte ihn direkt: «Ich nehme nicht an, dass du mich zum Essen einladen möchtest, Felix. Worum geht es?»
«Mein bester Mitarbeiter ist verschwunden.»
«Verschwunden?»
«Ja. Ähm, zuerst war er verschwunden. Heute hat mich Kommissar Aemisegger nun informiert, dass man sein Skelett im Wald gefunden habe.»
«Seit wann war er verschwunden?»
«Ich habe ihn seit zwei Wochen nicht mehr gesehen.»
«Skelett, sagtest du? Du sprichst also von Knochen und nicht von einer Leiche?»
«Ja Carla, genau so ist es. Ich kann es einfach nicht fassen!»
«Und du bist dir sicher, dass es sich bei den gefundenen Knochen um diejenigen deines Mitarbeiters handelt?»
«Ich bin überhaupt nicht sicher. Doch Aemisegger ist hundert Prozent davon überzeugt.»
«Okay. Das ist heftig, Felix. Ich kann nachvollziehen, dass das für dich ein Schock sein muss.»
«Es ist der blanke Horror, Carla!»
«Mhm. Was kann ich für dich tun, wollen wir doch mal Essen gehen?»
«Ich habe dich nicht angerufen, um von dir Mitleid zu ernten. Mit dieser Nachricht muss ich leben, ob ich will oder nicht.»
«Du bist ein starker Mann, Felix. Das warst du schon immer.»
«Carla, du musst mir helfen!»
«Wie stellst du dir das vor?»
«Ich weiss nicht mehr weiter und dachte …»
Die Detektivin unterbrach ihn: «Sagtest du soeben nicht, dass Aemisegger an dem Fall dran ist?»
«Ja, es ist furchtbar. Die Kommissare geben sicherlich ihr Bestes, doch das ist offenbar nicht genug. Die machen einfach nicht vorwärts! Und ich kann nicht rumsitzen und zur Tagesordnung übergehen.»
«Aemisegger ist ein fähiger, engagierter Kriminalkommissar! Du solltest ihn nicht unterschätzen.»
«Es liegt mir fern, an seiner Fassade zu kratzen. Ich zolle ihm höchsten Respekt. Aber was soll ich tun? Wie viele Tote muss es noch geben? Womöglich bin ich der nächste!»
«Wie meinst du das genau, Felix?»
«Liest du unsere Zeitung?»
«Meistens. Ich glaube, mich zu erinnern, vor einigen Wochen den Bericht über einen jungen Mann gelesen zu haben, dessen Knochen man im Zürcher Unterland gefunden hat. Und natürlich habe ich kürzlich auch deine Titelgeschichte um den verschwunden Journalisten gelesen.»
«Dann weisst du ja Bescheid, worum es geht. Vielmehr kann ich dazu nicht sagen. Das einzige, was klar ist, ist, dass mein Mitarbeiter an dem Fall dran war. Er verfolgte eine heisse Spur. Ich bin mir sicher, dass auch er demselben Täter zum Opfer gefallen ist. Zwei Knochenfunde in kurzen Abständen, ich weiss einfach nicht mehr ein und aus, Carla. Langsam bekomme ich es mit der Angst zu tun.»
«Deine Angst ist nicht unberechtigt, Felix. Es schaut ganz danach aus, als ob es sich um denselben Täter handelte.» Die Detektivin zeigte
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