Florian und das Geisterhaus
Geisterwirtschaft
„Es ist eine einmalige Gelegenheit!“ sagte der Vater beim Abendessen. „Noch nie sind wir schon an Ostern zum Tauchen weggefahren.“
Ohne Einschränkung stimmte ihm die Mutter zu, und das war selten. Nur wenn es um ihr gemeinsames Hobby, das Sporttauchen ging, vergaß sie gelegentlich ihre Lust am Widerspruch. Selbst Florian, der zügig futterte, fand die Gelegenheit einmalig. Allerdings schwebte ihm etwas anderes dabei vor, nämlich die Osterferien bei Tante Thekla zu verbringen. Draußen, vierzig Kilometer von Neustadt entfernt, am Grenzwald, lebte sie und war unter dem Namen Madame Thekla eine gesuchte Hellseherin.
Scheinbar ohne jede Absicht fragte Florian: „Und wo bleibe ich?“
Denn auf ihre Tauchreisen nahmen ihn die Eltern nie mit.
„Ich habe schon mit meiner Schwester Lene gesprochen“, sagte der Vater. „Du kannst zu ihr.“
Jetzt nur nicht anmerken lassen, daß ich zu Thekla will! Es ist doch jedesmal ein Kampf! dachte Florian.
Tante Lene bewohnte ein Haus mit großem Garten am Rand der Stadt. Sie war lieb und nett und so schwerhörig, daß Florian die ganze Nacht Trompete üben konnte. Doch solche Vorzüge wogen eine Hellseherin in der Verwandtschaft nicht auf, auch wenn diese als schwarzes Schaf der Familie galt. Gerade dann nicht!
„Ich dachte, Tante Lene sei wieder im Sanatorium?“ brummte Florian vor sich hin.
„Er will nur wieder zu Thekla!“ Seine Mutter durchschaute ihn.
„Kommt überhaupt nicht in Frage!“ entschied der Vater. „Erst vor zwei Tagen gab’s wieder eine Schießerei im Grenzwald!“
„Im Grenzwald ist immer was los“, zitierte Florian die allgemeine Redensart.
„Wir hätten keine ruhige Minute!“ ereiferte sich die Mutter, und der Vater winkte ab. „Du kommst zu Tante Lene! Ich hab schon mit ihr gesprochen. Sie freut sich auf dich.“
Hier war Widerspruch zwecklos. Florian setzte ein Gesicht auf, als sei er mit allem einverstanden. Das bedeutete jedoch nicht, daß er sich der Entscheidung seiner Eltern fügte. Dazu regte die Entscheidung seine Phantasie zu sehr an. Wenn es so nicht geht — dachte er — muß ich mir eben was anderes einfallen lassen!
Das konnte eine Weile dauern. Doch wenn er sich darauf konzentrierte, würde es schneller gehen und zum Erfolg führen.
„Gedanken sind Kräfte!“ pflegte die Hellseherin zu sagen, und sie konnte das beurteilen.
Ohne Murren ließ sich Florian nach dem letzten Schultag mit seinen Siebensachen zu dem schönen Haus der alleinstehenden, alten Dame fahren und wurde sofort mit Torte verwöhnt.
„Na, siehst du!“ sagte der Vater, als habe er ein schlechtes Gewissen. „So gut wie bei Tante Lene findest du’s nirgends.“ Wie immer, wenn sie wegfuhr, wurde die Mutter nicht müde, ihm klarzumachen, wie schön er’s hier habe. Überschwenglich lobte sie das Haus und das Zimmer, das Florian bezog. „Blick in den Garten und den ganzen Tag verwöhnt werden — so schön möcht ich’s auch mal haben!“
„Dann bleib doch da und zieh du hier ein!“ antwortete Florian. „Ich brauch das alles nicht!“
Jetzt wird sie gleich sagen, ich soll nicht undankbar sein, dachte er, da sagte sie’s auch schon. Dann folgten endlose Ermahnungen, an was alles er denken, was er beachten und was er vermeiden solle: Sich immer warm genug anziehen; nicht das größte Stück Fleisch von der Platte nehmen; sein Bett selber machen; das Zimmer stets aufgeräumt hinterlassen; im Bad nicht zu sehr herumspritzen und die Wanne nach Gebrauch mit der Dusche ausschwenken; nicht zu viele Süßigkeiten essen; nicht zu lange mit seinen Freunden telefonieren; nur bei geschlossenen Fenstern Trompete üben; nachts nicht zu lange lesen; nicht Tantes Zigarillos stiebitzen , die als Sportler sowieso nicht sein Fall waren, und, und, und...
„Wie soll ich mir das alles merken?“ begehrte er auf. „Das ist ja schlimmer als Schule!“
Sofort stoppte die Mutter ihre Aufzählung. Das seien die selbstverständlichen Pflichten eines Gastes, sie habe es ja nur gut gemeint.
Florian hätte widersprechen können. Besorgnis und Wohlwollen sind zweierlei! Am liebsten würdet ihr mich in einen Zwinger sperren, damit ich nichts anstellen kann, während ihr euch unter Wasser einen schönen Tag macht.
Das war seine Ansicht, doch er verzichtete darauf, sie zu äußern. Geändert hätte er damit sowieso nichts, bestenfalls sich neue Ermahnungen eingehandelt und einen Abschied in schlechter Stimmung. Ein Satz von Tante Thekla fiel
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