Gold
Umkleide, Olympia-Velodrom, Athen Olympischer Bahnradsprint der Frauen, Finale
Hinter der blanken Metalltür skandierten fünftausend Zuschauer ihren Namen. Zoe Castle war darüber nicht so glücklich, wie sie gedacht hatte. Sie war vierundzwanzig und saß dort, wo ihr Trainer sie hingesetzt hatte, neben ihm, auf einer schmalen weißen Bank, auf der noch eine blaue Schutzfolie klebte.
»Nicht die Tür anfassen«, hatte er gesagt. »Sonst geht der Alarm los.«
Sie waren nur zu zweit in der winzigen unterirdischen Umkleide. Die Wände waren frisch verputzt, und auf dem Zementboden lagen noch Reste von Mörtel, die den Handwerkern von der Kelle gefallen waren. Zoe trat mit dem Fuß dagegen. Ein Stückchen löste sich und schlitterte mit einem hörbaren Pling gegen die Tür.
»Was?«, fragte ihr Trainer.
Sie zuckte mit den Schultern. »Nichts.«
Als sie sich den Erfolg ausgemalt – als sie schließlich die Vorstellung, es bis hierher zu schaffen, zugelassen hatte, hatten in ihrer Fantasie die Böden und Wände sämtlicher Gebäude in Athen aus platonischen Körpern bestanden, gemeißelt aus einem olympischen Material, das von innen heraus leuchtete. Die Luft hatte nicht nach trockenem Zement gerochen. Es hatte auch keine weiße Plastikmappe mit der Installationsanleitung für die Klimaanlage herumgelegen, die noch nicht vollständig angeschlossen in der Ecke stand.
Ihr Trainer bemerkte ihren Gesichtsausdruck und grinste. » Du bist bereit. Das ist die Hauptsache.«
Sie versuchte zurückzulächeln. Aber ihr Lächeln war wie ein neu geborenes Fohlen – es knickte sofort wieder in sich zusammen.
Das Publikum über ihr stampfte rhythmisch mit den Füßen. Der Start war überfällig. Hupen ertönten. Der ganze Raum erzitterte – es war so laut, dass ihre Backenzähne vibrierten. Der Lärm schien ihre Eingeweide zu verflüssigen. Sie spielte mit dem Gedanken, das Velodrom durch die Hintertür zu verlassen, ein Taxi zum Flughafen zu nehmen und in die erstbeste Maschine nach Hause zu steigen. Sie fragte sich, ob sie der erste olympische Sportler wäre, der etwas so Einfaches und Verständliches tat: sich heimlich, still und leise vom Olymp zu schleichen. Sie würde doch wohl auch noch etwas anderes zustande bringen im normalen Leben. Die Zeitschriften liebten sie, denn sie sah auch in Kleidern gut aus. Sie war eine schöne Frau mit glänzendem kurzem schwarzem Haar und großen grünen Augen in einem blassen geheimnisvollen Gesicht, das ein wenig an eine europäische Heilige aus vergangenen Zeiten erinnerte. Um ihre Lippen lag eine Spur von Härte, ein Hauch von Kälte in ihren Zügen, der die Blicke anzog. Vielleicht könnte sie daraus Kapital schlagen. Nach der Show hinter der Bühne Interviews geben und lachen, wenn Journalisten fanden, dass sie dem englischen Mädchen ähnelte, das damals bei den Olympischen Spielen davongelaufen war. Wie hieß sie doch gleich? Ha!, würde sie antworten. Die Frage höre ich andauernd. Was ist eigentlich aus dem Mädchen geworden?
Der Atem ihres Trainers ging langsam und gleichmäßig.
» Dir scheint es jedenfalls gut zu gehen«, sagte Zoe.
»Warum auch nicht?«
»Ein ganz normaler Tag im Büro, was?«
»Genau«, antwortete Tom. »Wir machen hier einfach unseren Job. Ich meine, was willst du denn – eine Medaille?«
Als er ihren Blick bemerkte, hob er entschuldigend die Hände. »Tut mir leid, alter Trainerwitz.«
Zoe verzog das Gesicht. Sie war wirklich sauer auf Tom. Seine Sorglosigkeit half ihr überhaupt nicht – er tat, als wäre das hier keine große Sache. Er war eigentlich ein guter Trainer, aber ausgerechnet jetzt zeigte er Nerven, wo sie seine Stärke am meisten brauchte. Vielleicht sollte sie den Trainer wechseln, sobald sie wieder in England war. Einen Moment lang spielte sie mit dem Gedanken, ihm genau jetzt den Laufpass zu geben, um das falsche Lächeln aus seinem Gesicht zu vertreiben.
Am schlimmsten war, dass sie unkontrolliert zitterte, obwohl es so heiß war. Das war beschämend, und sie kam nicht dagegen an. Sie war schon umgezogen und aufgewärmt. Hatte eine Urinprobe und acht Milliliter Blut abgegeben, das größtenteils aus Adrenalin bestanden haben dürfte. Sie hatte ein kurzes nervöses Interview für ihre Sponsoren gegeben, die offiziellen Formulare unterzeichnet und die Rückennummer ans Trikot geheftet. Dann hatte sie sie entfernt und neu angeheftet, diesmal richtig herum. Danach gab es nichts mehr zu tun in diesen schrecklichen Minuten des
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