Flug des Adlers
Tapete, die sich an etlichen Stellen löste, waren alte, staubige Halterungen zu sehen, in denen einst Lampen Licht auf die Bilder geworfen hatten. Ein paar Sitzmöbel, deren Kissen längst verschwunden waren, säumten die Wände, und Valentine erkannte, dass er an einem Ende eines ovalen Esstisches saß, ein ehemals gutes Stück Handwerkskunst, das nun zerkratzt und von Wasser aufgequollen war. Eine einzelne dicke weiße Kerze stand schief in der Mitte des Tischs und lieferte das einzige Licht im Raum.
Ein kleiner, drahtiger Mann mit einer Hornbrille, der eine Uniform des Kommandos Süd trug, trat näher und hielt ihm eine Feldflasche hin. Valentine bemerkte die Rangabzeichen eines Corporals an seinem Arm. »Nur Wasser«, sagte der Mann mit einer überraschend tiefen Stimme angesichts seiner zierlichen Gestalt. Valentine trank und stellte fest, dass auf dem nackten Federrahmen eines Sofas ein Mann in Wolfsuniform schnarchte, ohne etwas von der Konversation mitzubekommen.
»Also hat mich das Kommando Süd wieder eingefangen?«, fragte Valentine.
»Für die Akten: Name, Geburtsort, letzter Rang?«, forderte die Frau, die ihm den Rücken zukehrte.
»David Stuart Valentine, nicht eingegliedertes Minnesota, Major«, antwortete Valentine.
»Er ist wieder bei Sinnen«, sagte Duvalier. »Hunger, Valentine?«
»Ich könnte etwas essen.« Erschrocken sah Valentine, wie Moira Styachowski aus einem anderen Raum hereinkam. Seine Artillerieoffizierin in dem Kampf um den Big Rock Mountain am Ufer des Arkansas hatte seit ihrer letzten Begegnung ein wenig zugelegt, aber ihr Gesicht war immer noch blass, die Augen müde.
»Was für ein Wiedersehen«, sagte Valentine, als Duvalier ihm Fladenbrot und ein Glas mit etwas, das roch wie fettgetränkte Bohnenpaste, über den Tisch schob.
»Und das war noch nicht alles«, sagte die gepflegte Frau, die die Fotos studierte, und drehte sich um. Sie trug eine ordentliche Uniform mit dem Colonelsvogel am hochgeschlossenen Kragen und musterte ihn mit funkelnden Augen.
Valentine kam sich ein wenig wie ein Mastschwein auf dem Jahrmarkt vor den Augen des Preisrichters vor. Ein scharfes Kinn, passend zu den Augen …
»Dots«, sagte Valentine.
»Inzwischen mit Beförderungen gestraft und folglich Colonel Lambert«, sagte sie, und die Worte klangen kalt und hart.
»Ich bitte um Verzeihung, wenn ich nicht salutiere«, sagte Valentine. »Meine Hände sind gefesselt.«
»Sei nicht so schwierig, Val«, sagte Duvalier.
»Das ist ein Insiderwitz, Smoke«, beschied ihr Lambert. »Ich erinnere mich, dass er mir einmal erzählt hat, eines Tages würde er vor mir salutieren, damals, als er die Kriegsakademie besucht hat.«
Duvalier, die nun am Tisch saß, zog neugierig eine Braue hoch und sah ihn an, doch er schüttelte nur den Kopf.
»Kann ich mich säubern?«, fragte Valentine.
»Bitte«, sagte Duvalier.
»Nehmen Sie ihm die Handschellen ab, Roberts, und zeigen Sie ihm seine Sachen«, sagte Lambert.
Der Corporal führte ihn in die ehemalige Küche des Hauses, in der ein mächtiger Krug mit vierzig Litern Wasser auf einem Tisch stand; Seife, Handtuch, Rasierer und ein Waschlappen lagen in einem Kübel.
Valentine sah Marschgepäck und einen Seesack. Der Corporal entnahm ihnen einen Kampfanzug. Valentine erkannte seinen alten Tarnanzug aus seiner Dienstzeit als Einsatzoffizier bei dem Ad-hoc-Regiment, das unter dem Namen Rasiermesser bekanntgeworden war. Seine Nase registrierte Mottenkugeln, obwohl sich offenbar jemand die Mühe gemacht hatte, die Uniform mit Hilfe einiger miteingepackter Akazienblüten aufzufrischen.
Valentine wusch sich und strich mit einem Zeigefinger über das Gewebe des Kampfanzugs. Klug von Lambert. Trug er erst einmal die Uniform und saß anderen in ähnlicher Kleidung am Tisch gegenüber, würde sich das altgewohnte Pflichtgefühl ganz von selbst einstellen, so wie sich eine alte Ausdrucksweise Bahn brach, wenn ein Erwachsener, der lange in fremden Ländern gelebt hatte, wieder seine Muttersprache benutzte.
Aber das Kommando Süd hatte ihm mehr als deutlich gezeigt, dass er verzichtbar war, also verzichtete er auf die Uniform.
Er hörte Gemurmel aus dem anderen Raum und schaltete auf harte Ohren, aber das Gespräch endete so schnell es begonnen hatte. Valentine kehrte zum Tisch zurück. Der Geruch gepflegter Frauen in seiner Nase war eine willkommene Abwechslung.
Lambert sah mit ruhigem Blick zu, wie er sich näherte. Vor ihr lag eine ramponierte Kuriertasche.
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