Flug durch die Sonne
der Sonne, und der Mars stand augenblicklich beinahe rechtwinkelig zu seinem eigenen Kurs.
Schon war die Sonne so groß, wie man sie normalerweise von der Erde aus sieht, und er konnte sie nur durch stark polarisierte Bildschirme betrachten. Die Radioaktivitätsanzeiger begannen bereits gelegentlich zu knattern. Innerhalb der Erdbahn erreichte die kurzwellige Strahlung höchst respektable Werte. Von der Venusbahn an würde er besondere Sicherheitsvorkehrungen treffen müssen – zum Beispiel einen bleibeschichteten Raumanzug tragen.
Wenn er der Sonne noch näher kam als die Venusbahn, würde selbst ein Bleianzug nicht ausreichen.
Zum erstenmal seit seinem Abenteuer auf dem Mars im vergangenen Jahr zog Lucky den winzigen, halbdurchsichtigen Gegenstand, den die marsianischen Energiewesen ihm geschenkt hatten, aus seiner Tasche.
Er hatte schon lange aufgehört, darüber nachzudenken, nach welchem Prinzip dieses Objekt funktionierte. Es war das Produkt einer Wissenschaft, die seit Jahrmillionen existierte und auf völlig anderen Denkvorgängen aufgebaut war als die Wissenschaft der Menschheit. Es war ihm ebenso unbegreiflich, wie einem Höhlenbewohner ein Raumschiff unbegreiflich sein würde. Aber es funktionierte. Das war alles, worauf es jetzt ankam!
Er zog es sich über den Kopf. Es paßte sich seinem Schädel an, als wäre es ein lebendes Wesen, und im gleichen Augenblick hüllte ihn ein strahlendes Licht ein. Sein ganzer Körper glitzerte, als wäre er in Phosphor getaucht, und sein Gesicht lag hinter einem schimmernden Strahlenvorhang, der für ihn freilich völlig durchsichtig blieb.
Es war ein Energieschild, den die Marsianer für Luckys Zwecke konstruiert hatten. Das heißt, der Schild war für alle Arten von Energie undurchlässig, ausgenommen jener, derer sein Körper bedurfte. Also eine gewisse Intensität des sichtbaren Lichts und ein gewisser Wärmebetrag. Gase konnten ohne weiteres durchdringen, so daß Lucky zu atmen vermochte, während heiße Gase erst einen Abkühlungsprozeß durchmachten, bevor sie durchkamen.
Als die Shooting Starr die Bahn der Venus überschritten hatte und sich immer noch der Sonne näherte, trug Lucky seinen Absorberschild dauernd. Solange er ihn trug, konnte er nicht essen oder trinken, aber das erzwungene Fasten würde höchstens einen Tag währen. Er flog jetzt viel schneller, als er je zuvor geflogen war. Abgesehen von dem Antrieb der hyperatomischen Motoren der Shooting Starr war da jetzt noch die unvorstellbare Anziehungskraft des gigantischen Schwerefelds der Sonne zu berücksichtigen. Seine Geschwindigkeit betrug jetzt Millionen von Meilen in der Stunde.
Er schaltete das elektrische Feld ein, das die äußere Hülle des Schiffes in einen pseudoflüssigen Zustand versetzte, und war im stillen dafür dankbar, daß er beim Bau des Schiffes darauf bestanden hatte, diese Vorrichtung zu bekommen. Die Bimetallthermometer, die bereits Temperaturen von über hundert Grad angezeigt hatten, begannen langsam zu sinken. Die Bildschirme wurden dunkel, als Metalljalousien über die empfindlichen Linsen glitten, um zu vermeiden, daß diese unter der Sonnenhitze Schaden nahmen.
Als er die Merkurbahn erreicht hatte, waren die Strahlungsmesser völlig verrückt geworden. Ihr Klappern hörte nicht mehr auf. Lucky hielt eine schimmernde Hand über ihre Fenster, und der Lärm hörte auf. Bis hinunter zu den härtesten Gammastrahlen wurde die Strahlung, die das Schiff durchdrang und erfüllte, von der wesenlosen Aura aufgehalten, die ihn umgab.
Die Temperatur, die jetzt auf fündundzwanzig Grad Celsius gesunken war, stieg wieder an, und das trotz der spiegelnden Außenhaut der Shooting Starr. Sie überstieg sechzig Grad und stieg immer weiter. Die Gravimeter zeigten, daß die Sonne nur noch zehn Millionen Meilen entfernt war.
Ein Teller mit Wasser, den Lucky auf den Tisch gestellt hatte und der seit einer Stunde dampfte, kochte nun geradezu.
Dreiundneunzig Grad Celsius!
Die Shooting Starr war nun nur noch fünf Millionen Meilen von der Sonne entfernt. Näher würde er nicht mehr gehen. Damit befand das Schiff sich bereits in den äußersten Ausläufern der Sonnenatmosphäre, der Korona. Da die Sonne aus Gas besteht, besitzt sie im eigentlichen Sinne keine »Oberfläche«, und ihre »Atmosphäre« ist gleichzeitig ein Teil des Sonnenkörpers selbst. Indem Lucky also durch die Korona flog, durchflog er gleichzeitig in gewissem Sinne die Sonne, wie er es Bigman gesagt hatte.
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