Flut: Roman (German Edition)
war, Torben aber trotzdem wütend und bestürzt machte. Er widersprach jedoch nicht, sondern versuchte nur die beiden Kinder auf seinen Armen in eine einigermaßen bequeme Lage zu rücken und ging los.
Lev und Stanislav standen mit dem Rücken zur Glasfront des Schwesternzimmers und verstellten ihm auf diese Weise größtenteils den Blick. Torben versuchte auch nicht wirklich viel zu erkennen. Er wollte nicht wissen, wie es in dem Zimmer hinter der Glasscheibe aussah. Immerhin registrierte er, dass sich darin nichts mehr rührte.
Die beiden Söldner machten überraschte Gesichter, als sie die Kinder auf Torbens Armen erblickten, sagten aber kein Wort, sondern setzten sich gehorsam in Bewegung, als Pjotr eine entsprechende Geste machte. Die Waffen verschwanden unter ihrer Kleidung und auch der Russe schob die Uzi wieder in seinen Gürtel und schloss den weißen Kittel. Mit der anderen Hand rückte er seine Brille zurecht und fuhr sich mit den gespreizten Fingern als Kammersatz durchs Haar. Die Veränderung war ebenso radikal und verblüffend wie zuvor. Aus dem kaltblütigen Killer wurde wieder die Arztfigur, die Vertrauen und Ruhe verströmte und deren sympathischer Ausstrahlung sich selbst Torben für einen Moment kaum zu entziehen vermochte. Dieses unheimliche Beispiel von Mimikry erschreckte ihn jetzt jedoch ungleich mehr als das erste Mal. Vielleicht, weil er dieses andere Selbst, von dessen Existenz er vorher nur gewusst hatte, nun gesehen hatte.
Als sie durch die Tür traten, erwartete sie eine vollkommen andere Welt. Das Krachen der Silvesterraketen war hier nicht mehr so deutlich zu hören, aber der Flur war voller Menschen, die Sekt aus Plastikbechern tranken, auf das neue Jahr anstießen und lachten: Patienten, Angehörige, die es in dieser Nacht mit den Besucherregelungen nicht so genau nahmen, aber auch Krankenschwestern und Pfleger und der eine oder andere Arzt. Die ausgelassene Stimmung machte auch vor ihnen nicht Halt. Noch bevor sich Lev und Stanislav auch nur dagegen wehren konnten, sahen sie sich von einem halben Dutzend größtenteils junger Männer und Frauen umringt, die sie einfach vereinnahmten und ihnen Plastikbecher mit Sekt in die Hände drückten. Pjotr und ihm erging es kaum besser. Torben hatte keine Hand frei, um nach einem der Becher zu greifen, die ihm hingehalten wurden, aber das Gefühl der Erleichterung, das aus dieser Erkenntnis resultierte, währte nur eine Sekunde. Genau so lange nämlich, wie er brauchte, um sich wieder daran zu erinnern, dass er hier auf der Wöchnerinnenstation war. Wo es nichts Interessanteres gab als neugeborene Kinder – und er trug gleich zwei dieser Objekte der allgemeinen Begierde auf den Armen. Der rettende Aufzug war keine zwanzig Schritte entfernt, aber Torben hatte nicht einmal einen Bruchteil dieser Strecke zurückgelegt, als er auch schon hoffnungslos in einer regelrechten Menschentraube eingekeilt war; größtenteils junge Frauen, die alle unbedingt einen Blick auf die beiden winzigen Gesichtchen in den grünen Tüchern werfen wollten.
»Aber die sind ja allerliebst!«, ereiferte sich eine junge Frau, die Torben kurzerhand in den Weg getreten war. Zu sagen, dass sie schwanger aussah, wäre eine Untertreibung gewesen. Sie sah aus, als würde sie jeden Moment platzen. »O Gott, ich kann nur hoffen, dass ich auch zwei so wunderschöne Babys bekomme.« Sie strich sich Bewunderung heischend mit der flachen Hand über den Bauch. Ihre Augen leuchteten. »Ich erwarte auch Zwillinge, wissen Sie? Ich hatte gehofft, sie kämen heute, aber wie es aussieht, habe ich das Rennen verloren.« Sie seufzte. »Nun ja, wenigstens bin ich eine gute Verliererin. Herzlichen Glückwunsch.« Und du wirst nie erfahren, was für ein Glück du hattest, dachte Torben. Er suchte verzweifelt nach einer Möglichkeit weiterzugehen, ohne unhöflich zu sein und dadurch Aufsehen zu erregen. »Aber jetzt macht es mir wirklich nichts mehr aus«, fuhr die junge Frau fort. »Es ist nicht schlimm, geschlagen zu werden, wenn auf dem ersten Platz zwei so wunderschöne kleine Engel liegen.«
Engel? Torben verspürte ein kurzes, eisiges Frösteln. O ja, eines von ihnen ist ganz zweifellos einer und das andere ist das genaue Gegenteil. Und nur Gott allein weiß, wer wer ist, und vielleicht nicht einmal er.
»Tun Sie etwas«, raunte Pjotrs Stimme an seinem Ohr, »oder ich werde etwas tun!«
»Bitte entschuldigen Sie mich jetzt«, sagte Torben laut. »Meine Schwiegermutter wartet unten in
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