Formbar. Begabt
Ganz toll.
Wieder starre ich auf die Straße und kann einen überraschten Laut nicht unterdrücken. »Jan.«
Er wendet mir leicht das Gesicht zu. »Ja?«
»Du weißt, dass wir zum Schwimmbad in die andere Richtung fahren müssen, oder?«
Seine Augen blitzen spöttisch auf. »Ja.«
Wieder ist es still zwischen uns. Als ich gerade zur nächsten Frage ansetzen will, spricht er weiter.
»Ich muss meine Sporttasche holen. Keine Sorge. Wir haben eine gute Stunde Zeit, bis wir die anderen treffen.«
Resigniert nicke ich. So war das nicht abgemacht. Diesen Umweg erwähnt er zum ersten Mal. Alleine mit Jan in dessen Zuhause? Wobei, vermutlich sind seine Eltern da. Es gibt nicht den geringsten Grund, sich Sorgen zu machen. Er wird nicht erwarten, dass ich ihm ins Haus folge, immerhin hat er mich auch nicht begleitet. Ich werde einfach im Auto auf ihn warten.
Sofort wird mir ein wenig leichter ums Herz.
»Wo wohnst du eigentlich? Wäre gut zu wissen, dass du nicht vorhast, mich zu entführen.«
Er wirft mir einen unergründlichen Seitenblick zu. »Meine Eltern haben den alten Bahnhof, der ein Stück vor der Stadt liegt, gekauft und restauriert.«
Aufgrund ausgedehnter Radtouren mit meinen Eltern weiß ich genau, welches Gebäude er meint. »In diesem Haus wohnt ihr? Ziemlich abgelegen.«
»Du kannst dir vorstellen, wie unpraktisch es war, als ich noch keinen Führerschein hatte. Busse fahren nicht, die Bahnlinie ist stillgelegt. Zumindest gibt es keine Nachbarn, die sich über laute Musik oder ähnliches beschweren. Das ist aber der einzige Vorteil.«
Leidlich beruhigt lehne ich mich in den Sitz zurück. Reicht es nicht, dass wir spontan bei Jan vorbeifahren? Muss er auch noch so weit außerhalb wohnen?
Nach ungefähr zehn Minuten erreichen wir die Einfahrt seines Elternhauses, die von grauem Kies bedeckt ist. Beeindruckt begutachte ich das weiße Gebäude, welches vom Schein der untergehenden Sonne in rötliches Licht getaucht wird, wodurch es sich hell von den dunklen Schatten der Bäume abhebt. Hinter den Fenstern im Erdgeschoss kann ich einen Lichtschein ausmachen. Jans Eltern sind zu Hause. Erleichtert lasse ich meinen Atem entweichen, den ich unbewusst angehalten hatte. Direkt neben dem weitläufigen Gebäude befindet sich eine große Garage, die auf mindestens zwei weitere Autos schließen lässt. Eines ist klar: Jans Familie hat definitiv Geld. Viel Geld.
Jan parkt seinen Alfa direkt vor der Haustür und macht den Motor aus. »Möchtest du mit hineinkommen? Ich brauche nicht lange.«
Entschieden schüttle ich den Kopf. »Ich warte hier auf dich.«
»Bist du sicher?« Er deutet mit einer knappen Bewegung in Richtung Haustür, auf deren Schwelle eine Frau steht und uns zuwinkt. Jans Mutter.
Oh nein. Auf keinen Fall kann ich unter diesen Umständen im Auto bleiben. Nachdem sie mir bereits zugewinkt hat, wäre das nicht nur unhöflich, sondern geradezu beleidigend, sie nicht zu begrüßen. Nachdem ich Jan einen imaginären Dolchstoß zwischen die Schulterblätter gejagt habe, steige ich seufzend aus und folge ihm mit zusammengebissenen Zähnen die Treppe hinauf zur Haustür.
Seine Mutter trägt ein dunkelblaues Cocktailkleid und flache Schuhe. Sie sieht unglaublich jung aus, lächelt uns an und reicht mir die Hand. »Ich bin Jans Mutter. Schön, Sie kennenzulernen. Fast hätten wir uns verpasst. Wir sind im Begriff zu gehen. Dein Vater«, sie betont das Wort merkwürdig und nickt Jan zu, »hat einen Tisch für uns reserviert.«
In diesem Augenblick tritt auch Jans Vater durch die Tür, als hätte er auf sein Stichwort gewartet. Er hat die gleichen schwarzen Haare wie sein Sohn und begrüßt mich freundlich. Anders als seine Frau fragt er nach meinem Namen, was ihn direkt sympathisch macht. Nachdem sich Jans Eltern nach unseren Plänen zur Abendgestaltung erkundigt und diese mit wenig Interesse zur Kenntnis genommen haben, fahren sie in ihrer blauen Limousine davon. Wir sind allein.
Bevor ich wieder zum Auto flüchten kann, legt Jan seine Hand auf meinen Rücken und schiebt mich bestimmt in den Flur. »Warte doch kurz im Wohnzimmer auf mich.«
Vom Feuer seiner Berührung abgelenkt, befolge ich die Aufforderung, ohne nachzudenken, und nehme im Wohnbereich Platz. Ich wähle absichtlich den Begriff »Wohnbereich«, denn »Wohnzimmer« wäre eine schamlose Untertreibung. Der ganze Raum sieht aus, als entstamme er einem Katalog für Inneneinrichtung. Helles Leder, matter Stahl und blitzendes Glas wohin das
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