Fortunas Odyssee (German Edition)
er es in meiner Kindheit immer bei mir getan hatte. Wenn ich eine Frage hatte, hatte er immer seine Hände auf meine Schultern gelegt und begonnen: »Mein Junge, …« Manchmal hatte ich mir gewünscht, irgendeine Frage zu haben, nur um seine schweren Hände und die Wärme, die von ihnen ausging, auf meinen Schultern zu fühlen.
Doch mein Vater bemerkte weder mich noch meine Hände auf seinen Schultern.
Ein Gedanke schoss mir durch den Kopf, ich rannte zur Treppe und nahm immer zwei Stufen auf einmal. Oben gab es einen Flur. Dort war die Tür zum Badezimmer.
Es war ein Schock, dieses Kind zu sehen, das sich hier mit einem Handtuch abtrocknete.
Ich stand vor mir selbst!
Perplex setzte ich mich auf das Klo, um Tim zu beobachten.
Tim war acht Jahre alt, dünn, aber gesund. Sein blonder Haarschopf bildete fast eine Halbkugel, die Haare bedeckten Stirn und Ohren. Seine Augen waren tiefblau wie die seiner Mutter.
Die Tür öffnete sich und eine dicke farbige Frau mit glatter Haut kam herein.
»Trockne diesen Popo gut ab und zieh dich schnell an, sonst wird Tyanna böse!«, ermahnte Tereza, unsere Haushaltshilfe, mit vorgetäuschter Strenge.
Für Fred und mich war es ein Privileg, eine so fürsorgliche Haushaltshilfe wie Tereza zu haben. Mama arbeitete zu Hause, sie bestickte Kleider für einige Geschäfte in der Hauptstadt, eine Arbeit, die den ganzen Tag in Anspruch nahm. Unterdessen kümmerte sich Tereza um den Haushalt. Die Kleider kamen verpackt in Pappkisten mit dem Zug an und wurden im Bahnhofsbüro abgestellt. Mein Vater holte sie dort ab, befestigte die Kisten auf seinem Fahrrad und fuhr damit quer durch die Stadt wieder nach Hause.
Wenn Mama sie öffnete, standen wir immer daneben, um zu sehen, ob außer den Kleidern vielleicht etwas für uns dabei sei. Stets keimte die Hoffnung in uns auf, dass vielleicht eines dieser Geschäfte ein Geschenk schicken würde. Aber die Besitzer dieser Ladenketten, deren Kunden reich und extravagant waren, dachten nicht an die Kinder der Stickerin auf dem Land.
Tereza kam in unser Haus, als meine Mutter geheiratet hatte und meine Großmutter kurz darauf verstarb. Sie war immer wie Mamas ältere Schwester behandelt worden, und alles, was Oma für ihre einzige Tochter kaufte, kaufte sie auch für Tereza. Als Fred zur Welt kam, kümmerte sie sich Tag und Nacht um ihn, ohne sich über sein nächtliches Geschrei zu beklagen oder über die vielen Stunden, in denen sie versuchte, ihn wieder zum Schlafen zu bringen. Sie beschwerte sich auch nicht über die Windeln, die sie wechselte und wusch, und auch nicht, als sich das alles nach meiner Geburt wiederholte.
Damals war es normal, dass einer dem anderen half, ohne etwas dafür zu verlangen. Tereza war immer bereit, meiner Mutter, wo es nötig war, zu helfen, ohne sich zu beschweren oder etwas zu fordern. Sie backte das Brot, das wir aßen, während wir jedes Mal schrien: »Das schmeckt super!« Niemals irrte sie sich bei den Zutaten, und das galt auch für ihre Apfel- und Möhrenkuchen sowie andere Leckereien. Tereza war Analphabetin, aber sie hatte klare Vorstellungen von Hygiene. Von ihr lernten wir, die Klospülung zu benutzen und anschließend die Hände zu waschen.
Sie hatte nie geheiratet, und um die Enttäuschung, nie einen Ehemann gehabt zu haben, zu verbergen, behauptete sie stets mit falschem Stolz: »Männer taugen zu überhaupt nichts!«
Unser Haus war eines der letzten in der Rua Dez im nördlichen Teil der Stadt Madrigal. Es war ein riesiges Haus mit einem Keller, den Fred und ich mieden, weil wir Angst hatten, dort unten einmal eingesperrt und für immer vergessen zu werden. Die Rua Dez begann am Dreieck, das durch das Zusammentreffen der Rua Oito mit der Rua Nove gebildet wurde. An dieser Ecke gab es einen Lebensmittelladen, der gleichzeitig eine Kneipe war und Mercadinho do Genésio hieß. Er war der größte Laden in der Stadt und spielt in dieser Geschichte eine wichtige Rolle. Einige Meter weiter in der Rua Oito befand sich die Pension Mileide, und ihr gegenüber war die Metzgerei. Der Besitzer war unser Nachbar. Die Rua Um führte auf einen Berg, auf dessen Gipfel die ersten Bewohner Madrigals unter der Anleitung von Jesuiten eine Kirche und ein Frauenkloster erbaut hatten. Viele Nonnen, die dort in Klausur lebten, starben, ohne in dieser Zeit jemals einen anderen Ort kennengelernt zu haben.
Die meisten Bewohner dieses Städtchens waren strenggläubige Katholiken. Meine Eltern gingen nicht regelmäßig in
Weitere Kostenlose Bücher