Fortunas Odyssee (German Edition)

noch in der Lage, mich zu beschimpfen und mit der Hand eine drohende Bewegung auszuführen, als würde sie ein Nudelholz schwingen. Sie lachte, hustete und umarmte mich am Ende, als wisse sie, dass sie ihre letzte Reise antreten würde. Außer ihrer faltigen Haut war auch der Verfall ihres Körpers unübersehbar – nichts erinnerte mehr an die resolute Tereza aus früheren Zeiten.
    Der Richter Tim, Mamas biologischer Vater, ist seit langem verstorben, aber es kommt mir vor, als sei es gestern gewesen.
    »Ich wollte das Bild behalten, das ich von ihr hatte, als sich ihre Schönheit mit dem Duft der Blumen vermischte und ich aus ihrem Mund die Worte hörte, auf die ich so lange gewartet hatte.« Als er diese Worte im Zug sagte, ahnten wir nicht, worüber er sprach.
    Meine Großmutter hatte das Kind nicht verloren und erzählte ihm dies bei jener Gelegenheit, als sie sich zum letzten Mal sahen und beide schon verheiratet waren. Sie hatte ihn gebeten, das Geheimnis zu bewahren, um Turbulenzen in der Familie zu vermeiden, weil meine Mama den Mann liebte, den sie für ihren Vater hielt. Sie gestand ihm ihre ewige Liebe und bat ihn um Vergebung für alles, was geschehen war.
    Meine Großmutter erzählte außerdem, dass der General den Heiratsantrag des Lateinamerikaners akzeptiert habe, nachdem er von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte – also nicht, weil er schon senil war oder weil er jemandem etwas schuldete, sondern weil er infolge ihrer Schwangerschaft wegen seines Rufes besorgt war.
    Der Lateinamerikaner wusste das und erzog meine Mutter, als sei er ihr biologischer Vater. Ich hatte ihn immer für meinen Großvater gehalten, aber er war es nicht.
    Das heißt, als sie zusammen im Zug fuhren, wusste der Richter Tim, dass er Mamas Vater war, aber er teilte es ihr nicht mit. Erst nachdem er ihr bei den Prozessen gegen Genésio geholfen hatte, ihren Besitz zurückzuerhalten, lud er sie zu einer neuen Zugreise ein, bei der er ihr die ganze Wahrheit erzählte.
    Danach erhielt sie von ihm einige Güter, wie die größte Fazenda in der Umgebung und ein Hotel in der Hauptstadt, wohin sie umzog, um näher bei ihren Söhnen zu wohnen. Natürlich zog Tereza wieder zu ihr und musste nicht mehr arbeiten. Das neue Haus war groß und hatte einen riesigen Garten. Aus diesem Grund stellte Mama verschiedene Leute ein. Sie machte ihren Führerschein, heiratete einen berühmten Schneider, mit dem sie zwei Kinder hatte. Seit fünf Jahren ist sie Witwe.
    Zu meiner Hochzeit informierte uns mein Großvater Tim, dass er sie in seinem Testament berücksichtigt habe. Er sagte nicht, worum es sich handelte, aber nach seinem Tode erfuhren wir, dass Fred und ich einige Ländereien geerbt hatten, und Mama verschiedene Häuser, Geschäfte und ein Bankkonto, das ihr bis zum Lebensende ein luxuriöses Leben garantierte. Er war Witwer und hatte keine weiteren Kinder. Mama war seine einzige Erbin.
    João war von einem Schauspielerehepaar adoptiert worden, kurz nachdem er im Waisenhaus untergebracht worden war. Er wurde Arzt und Psychotherapeut, ist verheiratet und hat fünf Kinder. Er erbte Genésios Fazenda, übergab sie aber den Angestellten, die seine Verwandten waren. Von da an hieß sie Fazenda Kaluga, und die ehemaligen Sklaven bildeten eine Verwaltungsgemeinschaft. Sie erhielten Kredite von der Regierung, mit denen es ihnen gelang, große Mengen von Getreide zu produzieren, neue Läden zu eröffnen und den Kunsthandel zu fördern.
    Die Grillnächte wurden wieder veranstaltet, nur dass sie jetzt Hunderte von Menschen anlockten und die ganze Region in eine große touristische Attraktion verwandelten.
    Vicentas sterbliche Überreste wurden aus dem Tal der Selbstmörder geborgen und in der Fazenda bestattet, obwohl ihre Kultur eigentlich vorschrieb, sie in einer religiösen Zeremonie zu verbrennen.
    Heute bin ich ein Geschäftsmann, dessen Arbeit anerkannt ist, Vater von zwei Kindern und Großvater von vier Enkeln.
    Ich habe weder aufgehört, zu arbeiten noch den Sternenhimmel zu betrachten oder Lotto zu spielen. Mit João treffe ich mich immer wieder, wir sind gute Freunde geworden.

    Eliane Reinert wurde 1971 in Minas Gerais, Brasilien geboren.
    Heute lebt sie in Deutschland, ist verheiratet und hat eine Tochter. Sie besitzt eine große Vorstellungskraft und verbindet beim Schreiben. Realität und Fiktion, wobei sie einen einfachen Text in eine dramatische und fesselnde Lektüre verwandelt.
    Sie mag Sonne und Wärme, gut gelaunte und einfache