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Fortunas Tochter

Fortunas Tochter

Titel: Fortunas Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Allende
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wie eine schöne, auf Seide gemalte Landschaft, der Wunsch dagegen, sich Bücher anzu– schaffen, zu studieren und andere Meister für sich zu gewinnen, die bereit wären, ihm auf dem Weg zum Wissen behilflich zu sein, wurde mehr und mehr zur Besessenheit.
    So standen die Dinge, als Tao Chi’en den Arzt Ebanizer Hobbs kennenlernte, einen englischen Gentleman, der ganz frei von Überheblichkeit war und sich im Gegensatz zu anderen Europäern für das Lokalkolorit der Stadt interessierte. Er sah ihn zum erstenmal auf dem Markt, wo er zwischen den Kräutern und Tränken in einem Laden für Heiler herumsuchte. Er sprach nur ein paar Worte Mandarin, aber er wiederholte sie mit einer solchen Stentorstimme und so viel unumstößlicher Überzeugung, daß sich um ihn eine kleine teils spöttelnde, teils ängstliche Gruppe von Neugierigen angesammelt hatte. Er war von weitem leicht zu sehen, weil sein Kopf die chinesischen Köpfe ringsum überragte. Tao Chi’en hatte in dieser Gegend noch nie einen Ausländer gesehen, so weit entfernt von den Vierteln, in denen sie sich sonst zu bewegen pflegten, und er ging näher heran, um ihn sich genau zu betrachten. Es war ein noch junger Mann, hochgewachsen und schlank, er hatte feine Gesichtszüge und große blaue Augen. Tao Chi’en stellte entzückt fest, daß er das seltsam ausgesprochene Mandarin des fan gui verstehen konnte und selbst mindestens ebensogut auf englisch radebrechen konnte, da würde es vielleicht möglich sein, sich gegenseitig zu verständigen. Er grüßte den Fremden mit höflichen Verneigungen, die der andere in recht linkischer Nachahmung erwiderte. Die zwei lächelten sich an und brachen dann in helles Lachen aus, in das die Zuschauer begeistert einstimmten. Nun begann ein eifriger Dialog mit zwanzig schlecht ausgesprochenen Wörtern vom einen zum andern und einer drolligen Pantomime, die die Fröhlichkeit der wohl an Gaukler erinnerten Zuschauer noch steigerte. Bald hatte sich eine beträchtliche Menschenmenge angesammelt, alle wollten sich schier totlachen und behinderten bereits den Verkehr, was einen berittenen britischen Polizisten anlockte, der befahl, die Zusammenrottung augenblicklich aufzulösen. Die komische Szene knüpfte eine feste Verbindung zwischen den beiden Männern.
    Ebanizer Hobbs war sich der Grenzen in seiner Arbeit ebenso bewußt, wie Tao Chi’en es in der seinen war. Der Engländer wünschte in die Geheimnisse der östlichen Medizin einzudringen, in die er auf seinen Reisen durch Asien nur flüchtige Einblicke bekommen hatte, vor allem wollte er etwas über die Beherrschung des Schmerzes durch Nadeln erfahren, die in die Nervenenden gesetzt werden, und über die Verwendung von Pflanzenver– bindungen zur Behandlung verschiedener Krankheiten, die in Europa als tödlich galten. Den Chinesen faszinierte die westliche Medizin mit ihren aggressiven Heilmethoden, die seine war eine subtile Kunst von Gleichgewicht und Harmonie, ein langsam voranschreitendes Bemühen, die irregeleitete Kraft wieder zu richten, Krankheiten zu verhüten und die Gründe der Symptome zu suchen. Tao Chi’en hatte niemals Chirurgie praktiziert, und seine Kenntnisse von Anatomie, so genau sie waren, was die verschiedenen Pulse und die Akupunkturpunkte anging, beschränkten sich auf das, was er sehen und fühlen konnte. Die anatomischen Zeichnungen aus der Bibliothek seines alten Lehrers kannte er auswendig, aber er war nie auf den Gedanken gekommen, einen Leichnam zu öffnen. Der Brauch war in der chinesischen Medizin unbekannt; sein weiser Meister hatte die Kunst des Heilens sein Leben lang betrieben, aber er hatte selten ein inneres Organ gesehen und war außerstande, eine Diagnose zu stellen, wenn er auf Symptome stieß, die nicht in das Register der bekannten Krankheiten paßten. Ebanizer Hobbs dagegen öffnete Leichen und suchte die Ursache, so lernte er. Tao Chi’en tat es zum erstenmal im Keller des Krankenhauses der Engländer in einer Taifunnacht als Gehilfe von Doktor Hobbs, der früh am Morgen desselben Tages seine ersten Akupunkturnadeln gesetzt hatte, um eine Migräne zu lindern, und zwar in dem Sprechzimmer, in dem Tao Chi’en sonst seine Patienten behandelte. In Hongkong gab es einige Missionare, denen ebenso daran gelegen war, den Körper zu heilen wie die Seele zu bekehren, und Doktor Hobbs hatte ausgezeichnete Beziehungen zu ihnen. Sie hatten viel mehr Berührung mit der örtlichen Bevölkerung als die britischen Ärzte der Kolonie und

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