Rolf Torring 131 - Der Skorpion
1. Kapitel
Ein seltsamer Empfang
Der Hafen von Santiago de Cuba wird durch das Fort del Moro geschützt. Bei herrlichem Wetter schlenderten wir, als die Dunkelheit eben begonnen hatte, dicht unter der mächtigen Mauer des Forts vorbei; auf einige Schritte konnten wir die Umgebung deutlich erkennen.
„Pyrophorus noctilucus," murmelte Rolf und zeigte auf die hellen Punkte in den Büschen zur Seite des Pfades, die weit helleres Licht aussandten als die Leuchtkäfer unserer Heimat.
Pyrophorus noctilucus ist der wissenschaftliche Name für den Cujo, den großen Leuchtkäfer der heißen Länder, der auf Cuba besonders häufig vorkommt. Seine Larve, die bis dreieinhalb Zentimeter lang wird, richtet in den Zuckerrohrplantagen erheblichen Schaden an. Das Licht, das der Käfer verbreitet, ist so stark, daß man, wenn man mehrere Käfer in ein Glas sperrt, in dem von ihnen ausgestrahlten Licht die Zeitung lesen kann.
Wir waren stehengeblieben, um den eigenartigen Anblick genießen zu können. Das war — unsere Rettung, denn von der hohen, an vielen Stellen schon stark verwitterten Mauer des Forts, deren einzelne Steine auch durch die Wurzeln von Pflanzen, die aus ihr hervorwuchsen, gelockert waren, prasselte plötzlich ein Steinblock herab und landete dröhnend dicht vor uns auf dem Pfad. Er zerbarst, seine Stücke flogen zum größten Teile weiter nach rechts den steilen Abhang zum Meer hinunter.
„Alle Wetter" rief ich, als der Staub sich verzogen hatte, der durch den Aufprall des Felsblockes auf den Pfad aufgewirbelt war.
„Massers, Pongo Hand gesehen!" flüsterte fast im gleichen Augenblick unser schwarzer Freund hinter uns.
„Eine Hand?" fragte Rolf.
„Hand, die Steinblock nach unten gerollt," beharrte Pongo.
Instinktiv rissen wir die Pistolen aus dem Gurt, um uns bei einem eventuellen zweiten Angriff verteidigen zu können.
Aber der Mann, der den heimtückischen Anschlag auf uns geplant und ausgeführt hatte, schien es jetzt selbst mit der Angst zu bekommen. Wie hörten auf der anderen Seite der Mauer ein Rascheln, das sich schnell entfernte.
Da zwängte sich Pongo durch die Büsche, warf sich mit einem Sprunge, der jedem Leichtathleten Ehre gemacht hätte, hoch und erfasste tatsächlich den Rand der Mauer, an dem er sich im Klimmzug in die Höhe zog. Unter seinen Händen aber bröckelte das verwitterte Gestein ab, so daß Pongo bald zu uns hinab springen mußte; es war ihm aber gelungen, über die Mauer zu sehen. Was er gesehen hatte, berichtete er sofort:
„Pongo Mann gesehen. Mann schnell auf Haus zugelaufen. Mann weißen Anzug und großen Hut getragen, Hut ganz schlapp."
Mit der Feststellung konnten wir nicht viel anfangen, denn so angezogen liefen alle Männer hier herum.
„War es ein Europäer?" fragte Rolf. „Haut hell," erklärte Pongo zögernd, „Haar dunkel. Pongo nicht sagen können, ob Weißer."
„Es kann also auch ein Mulatte oder ein Pardo, wie die Mischlinge hierzulande genannt werden, gewesen sein " folgerte Rolf.
„Vielleicht ein Wegelagerer, der es auf unsere Brieftaschen abgesehen hatte," meinte ich.
„Ich schlage vor, den Vorfall dem Kommandanten des Forts zu melden " sagte Rolf.
„Ich weiß nicht Rolf, ob das richtig ist. Wenn der Wegelagerer zur Besatzung des Forts gehören sollte, werden wir kaum viel erreichen."
„In der Weise hast du recht, Hans, das Land befindet sich wieder einmal in recht wirren Verhältnissen. Fremde werden mißtrauisch angesehen, wenn sie keinen besonderen Zweck ihrer Reise angeben können. Aber unsere Pässe sind ja in Ordnung. Komm mit, wir wollen sehen, ob wir den Fall nicht irgendwie aufklären können."
Wir wanderten in beschleunigtem Tempo weiter den schmalen Pfad entlang, behielten aber den Mauerrand immer im Auge. Es konnte ja sein, daß an einer anderen Stelle ein zweiter Angriff auf uns erfolgte, wenn der Kerl da oben zurückkam, ohne daß wir es hörten.
Aber wir gelangten ohne Zwischenfall an die Vorderseite des alten Forts und standen bald vor dem großen Eingangstor. Auf unser Klopfen wurde eine Klappe im Tor geöffnet, im Ausschnitt des Tores wurde ein Soldatengesicht sichtbar. Mürrisch wurden wir nach unserem Begehr gefragt.
Für die Begriffe, die wir vom Militär hatten, benahm sich der Posten recht eigenartig, ja, ausgesprochen salopp. Als Rolf unsere
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