totgequatscht: Maggie Abendroth und der Teppich des Todes (German Edition)
Kapitel 1
Und da war er: der gefühlte siebenundzwanzigste weiße Albtraum aus Tüll, Taft und Seide, mit dem Wilma aus der Umkleidekabine rauschte. Mir völlig unverständlich, dass auf ihrem sonst so makellosen Gesicht das fahle Licht einer Neonreklame leuchtete, die verkündete: »Sie haben Ihr Fahrziel erreicht«. Und wie man weiß – Neonlicht macht alt.
Meine beste Freundin drehte sich vor dem Spiegel hin und her, die fleischgewordene Vision aller Hochzeitsfanatiker. Die riesengroße Schleife, die ihre Taille zierte, rutschte und kam knapp unterhalb der Hüfte zum Stehen. Die Enden der Schleife fielen schlapp herunter.
»Ach Gottchen, Gottchen, Gottchen, Kindchen, was sind Sie schmaaal. Wie ein Model. Da würde ja Heidi Klum neidisch werden«, flötete die Verkäuferin des Brautmodenladens
Hochzeit’s Himmel
, ohne die zehn Stecknadeln aus dem Mund zu nehmen. Bei der Hysterie, die die Dame verbreitete, hätte es auch gerne ›Hochzeitsfimmel‹ heißen können – wenigstens wäre so der Ossi-Apostroph verschwunden.
»Keine Sorge, das ist das Klümchen schon«, sagte ich.
Jede Frau, die Augen im Kopf hat, muss neidisch sein auf Wilma, und Heidi erst recht, weil Wilma glatt noch vier Zentimeter größer ist als Deutschlands Kleiderständer Nummer eins aus Bergisch Gladbach. »Heidi macht nur Karriere, weil unsere Wilma nicht mehr auf den Catwalks dieser Welt läuft, nicht wahr? Außerdem hatte Heidi schon immer zu grobe Fußgelenke.«
Wilma rollte die Augen und schüttelte den Kopf.
Die Verkäuferin blinzelte und starrte der Braut ins Gesicht. »Ach … ich weiß! Nein, sagen Sie es nicht … Sie sind dieser, dieser … Most, ja genau, die sich immer beim Koksen erwischen lässt, aber sehr ähnlich … oder nee, Moment mal! Waren Sie mal bei
Wetten, dass ..?
?«
Wilma sagte: »Nein«, und mir flüsterte sie zu: »Ich bring dich um, Maggie.«
Tja, knapp daneben ist auch vorbei, hätte ich der Verkäuferin sagen können, aber ich klärte sie nicht darüber auf, dass Wilma eines der erfolgreichsten Katalogmodels in Deutschland und Japan gewesen war, bevor noch Claudia Schiffer meinte, sie müsse für den Otto Katalog posieren.
»Können wir jetzt mal endlich? Die Schleife! Muss da nicht so was wie Draht rein? Die fällt doch immer zusammen«, sagte Wilma und zappelte herum. Ihre schlanken Arme ragten wie Stöckchen aus den überladenen Puffärmeln.
»Momentchen, Momentchen. Das haben wir gleich.« Die Dame setzte ihre Lesebrille auf die Nase, begutachtete den Schaden, den Wilmas Taille verursacht hatte, zupfte daran herum und drapierte die Schleife dorthin, wo sie hingehörte – auf den verlängerten Rücken. »Und dann machen wir noch hier und hier und hier … ja, das stecke ich fest. Und Draht? Nee, ich mach das schon. Sie sehen aus, Kindchen. Zucker!« Dann wandte sich die Verkäuferin mit strengem Blick zu Winnie um, der es sich in einem riesigen goldfarbenen Ohrensessel bequem gemacht und bislang nichts weiter beigesteuert hatte als ein wissendes Lächeln gepaart mit wohldosiert gequältem Augenaufschlag, wenn Wilma mit ausladenden Schritten und Hüftgewackel in einem Brautkleid ihrer Wahl an uns vorbeidefilierte. An diesem Vormittag hatten wir immerhin schon sieben Walks gesehen, und Heidi hätte Wilma jedes Mal ein Foto dafür gegeben. An der Performance war nichts auszusetzen gewesen, dafür umso mehr an den Kleidern, die zur Auswahl standen.
Winnie machte ein kluges Gesicht, während die Verkäuferin die Augen zusammenkniff und sagte: »Sie sollten überhaupt nicht hier sein, junger Mann. Das gehört sich nicht. Ein Bräutigam, der das Brautkleid vor der Hochzeit sieht, bringt Unglück. Sieben Jahre mindestens.«
»Ich weiß«, sagte Winnie. »Aber das Brautkleid, das mir Unglück bringen würde, sollte ich es denn jemals sehen, wäre ein schwarzer Smoking. Oder vielleicht auch ein weißer.«
Die Stecknadeln zwischen den Lippen der Verkäuferin wanderten alle zum rechten Mundwinkel, und bevor sie sich vor Schreck mit den Dingern selbst entleiben konnte, sagte ich: »Er ist nur als Modeberater hier. Der Bräutigam befindet sich in Südamerika und rast mit seinem Mountainbike den Popocatepetl rauf und runter und wird von dem Kleid bis zum ersten Nä-Nä-NäNäNäää aus der Kirchenorgel nichts mitbekommen.«
Die Dame klatschte in die Hände. »Wenn das so ist. Dann sagen Sie mal was, Herr Modeberater.« Sie beugte sich zu mir herunter und flüsterte, ohne Winnie aus den Augen zu lassen:
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