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Frage 62

Frage 62

Titel: Frage 62 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. C. Boyle
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mit Spiegelei –«
    Sie spürte den Wodka: Es war, als würde ihr Bauch sich zusammenziehen, und aus Fingern und Zehen schien die hartnäckige Kälte zu weichen. Sie nahm noch einen Schluck von dem Screwdriver, warf den Kopf in den Nacken und schüttelte ihr Haar. »Ich bin Vegetarierin«, sagte sie.
    Er verstand nicht gleich. Sie sah, wie seine Augen sich verengten, als versuchte er sie besser zu erkennen. Die Kellnerin kam vorbei, in der einen Hand eine Kanne koffeinfreien Kaffee, in der anderen eine Kanne normalen, und sah sie fragend an. »Und was heißt das?«
    »Das heißt, dass ich kein Fleisch esse.«
    »Und Milchprodukte?«
    Sie zuckte die Schultern. »Nicht viel. Ich nehme Kalziumtabletten.«
    Eine Veränderung schien über ihn zu kommen. Vor einem Augenblick noch hatte er sich auf der mit Kunstleder bezogenen Bank locker und entpannt zurückgelehnt, als würde sein Rückgrat ein Nickerchen machen, doch nun saß er mit einemmal stocksteif da. »Was?« sagte er mit von Ironie triefender Stimme. »Dir tun die armen Kühe leid? Weil sie sich an ihren armen kleinen Zitzen ziehen lassen müssen? Ich kann dir nur sagen, ich bin auf einer Farm aufgewachsen, und wenn wir die Kühe nicht jeden Morgen gemolken hätten, wären sie geplatzt – und das wäre grausam gewesen.«
    Sie sagte nichts, sie wollte eigentlich nicht darüber reden. Ob sie Milch trank oder Hamburger und Schweinefüße aß, ging außer ihr selbst niemanden etwas an, und es war eine Entscheidung, die sie vor so langer Zeit getroffen hatte, dass es jetzt zu ihr gehörte wie ihre Haarfarbe oder die Form ihrer Augen. Sie griff nach der Speisekarte, nur um irgend etwas zu tun.
    »Also was jetzt?« sagte er. »Verschwende ich hier nur meine Zeit? Bist du eine von diesen Leuten, die dauernd Tiere retten wollen? Du hasst die Jagd, stimmt’s?« Er holte Luft. »Und Jäger.«
    »Ich weiß nicht«, sagte sie und spürte einen Funken Verärgerung. »Ist das wichtig?«
    Sie sah, dass er die Faust ballte, und beinahe hätte er damit auf den Tisch geschlagen, doch er beherrschte sich. Und er bemühte sich, seine Stimme im Zaum zu halten. »Ob es wichtig ist? Hast du mir nicht zugehört? Ich habe wegen Frage 62 Morddrohungen gekriegt – von deinen Katzenfreuden, von diesen Pazifisten höchstpersönlich.«
    »Na gut«, sagte sie. »Die Katzen unter meinem Trailer sind also eine große Bedrohung, wie? Eine invasive Art? Wir sind eine invasive Art. Mrs. Merker, die jede Nacht zwanzigmal aufsteht und die Toilette sucht und mich zwanzigmal fragt, wer ich eigentlich bin und was ich in ihrem Haus zu suchen habe, ist doch auch ein Teil des Problems, oder? Warum also nicht auch alte Damen zum Abschuss freigeben?«
    Sein Blick irrte durch den Raum und richtete sich schließlich auf sie – ein genervter, verärgerter, wütender Blick. »Weiß ich nicht. Darum geht’s mir nicht. Ich meine, mir geht’s nicht um Menschen.«
    Sie sagte sich, sie solle den Mund halten, die Speisekarte nehmen und irgend etwas Harmloses bestellen – Waffeln mit künstlichem Ahornsirup, für dessen Herstellung nicht mal Ahornbäume verletzt wurden –, aber sie brachte es nicht fertig. Vielleicht lag es am Wodka, vielleicht war es das. »Aber werden Vögel denn nicht auch von Menschen getötet? Die ihren Lebensraum zerstören und so – mit Einkaufszentren, Dieselmotoren und so weiter. Mit Kunststoffen. Die sind für Vögel tödlich, oder nicht?«
    »Jetzt hör schon auf mit dem Quatsch! Das ist doch verrückt. Einfach verrückt.«
    »Ich frage ja nur.«
    »Du fragst ja nur?« Jetzt donnerte die Faust auf den Tisch, dass das Besteck klirrte und Köpfe herumfuhren. »Wir reden von Morddrohungen, und du denkst, das ist eine Art Spiel?« Plötzlich war er auf den Beinen, der größte Mann der Welt, seine Jacke war bis über den Gürtel hinaufgerutscht, sein Gesicht schwebte hoch über ihr, er nahm so viel Raum ein, warf einen so großen Schatten. Er bückte sich nach seiner Mütze und richtete sich mit verzerrtem Gesicht wieder auf. »Tolle Verabredung«, sagte er, und dann war er fort.
    In der Nacht des Tigers, einer Nacht, die sich unter dem Gewicht eines weiteren Wolkenbruchs wie ein nasser Sack über die Hügel legte, ließ Mae den Fernseher lange eingeschaltet, denn sie hoffte auf neue Nachrichten. Früher am Abend hatten Doug und sie vorgehabt, in irgendeinem Restaurant etwas zu essen und dann vielleicht ins Kino zu gehen, doch als der Regen keine Anstalten gemacht hatte nachzulassen,

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