Fratze - Roman
Ellis, auf dem Rückweg schreiben wir die ganze Zeit Postkarten aus der Zukunft und werfen sie aus dem Autofenster, während wir mit anderthalb Meilen die Minute auf der Interstate 5 nach Süden fahren. Alle zwei Minuten drei Meilen näher an Evie und ihrem Gewehr.
Ellis schreibt: Deine Geburt ist ein Fehler, den zu korrigieren du dein ganzes Leben lang versuchen wirst.
Das automatische Fenster des Lincoln Town Car surrt einen Zentimeter nach unten, und Ellis lässt die Karte in den Fahrtwind fallen.
Ich schreibe: Du verbringst dein ganzes Leben damit, Gott zu werden, und dann stirbst du.
Ellis schreibt: Wenn du nicht über deine Probleme sprichst, ärgert es dich, von den Problemen anderer Leute zu hören.
Ich schreibe: Gott tut nichts anderes, als uns zu beobachten und uns zu töten, wenn wir langweilig werden.Wir dürfen niemals, niemals langweilig sein.
Springt zu uns, wie wir den Immobilienteil der Zeitung lesen, auf der Suche nach großen Häusern. Das tun wir immer in einer neuen Stadt. Wir sitzen draußen vor einem netten Café, trinken Cappuccino mit einer Prise Kakaopulver drauf und lesen die Zeitung, dann ruft Brandy die Makler an, um herauszufinden, in welchen dieser Häuser noch Leute wohnen. Und Ellis macht eine Liste der Häuser, die wir morgen aufsuchen wollen.
Wir gehen in ein nettes Hotel und machen ein Nickerchen. Nach Mitternacht weckt Brandy mich mit einem Kuss. Sie und Ellis ziehen los, um das Material zu verkaufen, das wir in Seattle gesammelt haben. Wahrscheinlich vögeln sie miteinander. Ist mir egal.
»Und nein«, sagt Brandy, »Miss Alexander wird die Rhea-Schwestern nicht anrufen, solange sie in der Stadt ist. Im Übrigen ist sie der Meinung, die einzige erstrebenswerte Vagina ist die, die man sich selber kauft.«
Ellis steht in der offenen Tür zum Hotelflur, er sieht aus wie ein Superheld, der zu mir ins Bett kriechen und
mich retten soll. Aber seit Seattle ist er mein Bruder. Und man kann nicht in seinen Bruder verliebt sein.
Brandy sagt: »Willst du die Fernbedienung?« Brandy stellt den Fernseher an, und dort erscheint Evie, vernarbt und verzweifelt, ihre dick aufgepumpte Regenbogenfrisur in sämtlichen Blondtönen. Evelyn Cottrell, Inc., jedermanns Lieblingsabschreibungsobjekt, stolpert in ihrem Paillettenkleid durchs Studiopublikum und fleht die Leute an, ihre Fleischnebenprodukte zu essen.
Brandy schaltet um.
Brandy schaltet um.
Brandy schaltet um.
Nach Mitternacht ist Evie überall und bietet auf einem Silbertablett ihre Waren an. Das Studiopublikum ignoriert sie, begafft nur sich selbst im Monitor, gefangen in der Realitätsschleife, sie begaffen sich, wie sie sich selbst begaffen, versuchen so, wie wir es bei jedem Blick in den Spiegel tun, herauszufinden, wer genau diese Person da ist.
Diese Schleife hat kein Ende. Evie und ich, wir haben dieses Infomercial gedreht. Wie konnte ich nur so dämlich sein? Wir sind so total in uns selbst gefangen.
Die Kamera bleibt auf Evie, und fast höre ich Evie sagen: Lieb mich.
Lieb mich, lieb mich, lieb mich, lieb mich, lieb mich, lieb mich, lieb mich, ich will alles sein, was du von mir willst. Benutz mich. Verändere mich. Ich kann schlank sein, mit großen Brüsten und großer Frisur. Nimm mich auseinander. Mach aus mir, was du willst, aber liebe mich.
Springt weit zurück, zu Modeaufnahmen mit Evie und mir auf einem Schrottplatz, in einem Schlachthaus, in einer
Leichenhalle. An allen möglichen Orten, an denen wir vergleichsweise gut aussahen. Und mir wird klar, was ich an Evie vor allem hasse, ist ihre Eitelkeit, ihre Dummheit, ihr Anlehnungsbedürfnis. Aber am meisten hasse ich, dass sie mir so ähnlich ist. In Wirklichkeit hasse ich mich selbst, und das heißt, ich hasse so ziemlich jeden.
Springt zum nächsten Tag, als wir uns ein paar Häuser ansehen, eine Villa, zwei Paläste und einen Landsitz voller Medikamente. Gegen drei Uhr treffen wir einen Makler im fürstlichen Speisesaal eines Gutshauses in West Hills. Es wimmelt von Lebensmittellieferanten und Floristen. Der gedeckte Esstisch biegt sich unter Silber und Kristall, Teeservices, Samowaren, Kerzenständern und Stielgläsern. Eine Frau in einem schäbigen hausbackenen Privatsekretärinnen-Tweedkostüm wickelt diese Silber- und Kristallgeschenke aus und macht Notizen in ein kleines rotes Buch.
Ein unaufhörlicher Strom angelieferter Blumen umspült uns, eimerweise Schwertlilien und Rosen und Levkojen. Im ganzen Gutshaus duftet es herrlich nach
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