Fratze - Roman
ihrer Handtasche, Handschuhe mit einer weißen Perle als Knopf an der Innenseite des Handgelenks. Sie zwängt ihre Hände da hinein und verschließt die Knöpfe. Weiß ist keine gute Farbe. In Weiß sehen ihre Hände aus, als seien sie von einer riesigen Zeichentrickmaus transplantiert.
»Dann bin ich auf eine Geschlechtsumwandlung gekommen«, sagt sie, »eine Operation zur Geschlechtsumwandlung. Die Rheas«, sagt sie, »bilden sich ein, mich zu benutzen, aber in Wirklichkeit benutze ich sie, ich benutze ihr Geld und die Tatsache, dass sie sich einbilden, sie würden mich steuern und hätten sich das alles selbst ausgedacht.«
Brandy hebt einen Fuß, betrachtet den abgebrochenen Absatz und seufzt. Dann greift sie nach unten und zieht den anderen Schuh aus.
»Nichts davon geht auf Initiative der Rheas zurück. Kein bisschen. Es war einfach nur der größte Fehler, den ich machen konnte. Die größte Herausforderung, die ich mir stellen konnte.«
Brandy bricht auch den heilen Absatz ab und muss jetzt in zwei hässlichen Flachschuhen herumlaufen.
Sie sagt: »Man muss mit beiden Füßen voran in die Katastrophe springen.«
Sie wirft die abgebrochenen Absätze in den Mülleimer des Badezimmers.
»Ich bin nicht hetero, ich bin nicht schwul«, sagt sie. »Ich bin nicht bi. Ich will keine solche Etiketten tragen. Ich will nicht mein ganzes Leben in ein einziges Wort
zwängen lassen. Eine Geschichte. Ich will etwas anderes finden, etwas Unerkennbares, einen Ort, der auf keiner Karte verzeichnet ist. Ein richtiges Abenteuer.«
Eine Sphinx. Ein Geheimnis. Eine Leerstelle. Unbekannt. Unbestimmt. Unerkennbar. Undefinierbar. Das waren die Worte, die Brandy benutzte, um mich in meinen Schleiern zu beschreiben. Nicht bloß eine Geschichte, die immer und dann und dann und dann und dann und dann weitergeht, bis man stirbt.
»Als ich dich kennengelernt habe«, sagt sie, »habe ich dich beneidet. Ich habe dein Gesicht begehrt. Ich dachte, dein Gesicht wird größeren Mut erfordern als jede Geschlechtsumwandlungsoperation. Es wird dir größere Entdeckungen ermöglichen. Es wird dich stärker machen, als ich jemals sein könnte.«
Ich gehe die Treppe hinunter. Brandy in ihren neuen flachen Schuhen, ich in meiner totalen Verwirrung, wir gelangen in die Vorhalle, und durch die Salontür hört man Mr. Parkers durchdringende tiefe Stimme immer wieder hervorstoßen: »So ist gut. Mach weiter so.«
Brandy und ich, wir bleiben kurz vor der Tür stehen. Wir zupfen uns gegenseitig die Fusseln und Klopapierfetzen ab, und ich bausche Brandys hinten plattgedrückte Haare auf. Brandy zieht ihre Strumpfhose ein wenig höher und die Vorderseite ihrer Jacke etwas tiefer.
Weder die Postkarte und das Buch in ihrer Jacke noch der Schwanz in ihrer Strumpfhose sind von außen zu erkennen.
Wir stoßen die Salontür auf und erblicken Mr. Parker und Ellis. Mr. Parkers Hose hängt ihm um die Knie, sein nackter haariger Arsch ragt in die Luft. Der Rest seiner Nacktheit steckt in Ellis’ Gesicht. Ellis Island, ehemals
Unabhängiger Sonderbeauftragter der Abteilung Sitte, alias Manus Kelley.
»Oh, ja. Weiter. Das ist so gut.«
Ellis kriegt eine Eins in Leistungsbereitschaft, seine Hände wölben sich um Parkers supersaubere Football-Stipendiaten-Hinterbacken und saugt so viel er verschlingen kann in sein scharfkantiges Nazi-Poster-Knabengesicht. Ellis grunzt und würgt: Das ist sein Comeback aus dem erzwungenen Ruhestand.
27
D er Mann in der Post, der meinen Ausweis sehen wollte, musste mir schon so glauben. Das Foto in meinem Führerschein konnte genauso gut von Brandy sein. Also muss ich, um die postlagernden Sachen abzuholen, eine Menge Zettel vollschreiben, um zu erklären, wie ich jetzt aussehe. Die ganze Zeit in der Post sehe ich immer wieder zur Seite, ob ich auf dem FBI-Poster der meistgesuchten Verbrecher abgebildet bin.
Fast eine halbe Million Dollar, das sind ungefähr fünfundzwanzig Pfund Zehn- und Zwanzigdollarscheine in einer Kiste. Und außer dem Geld ist da auch noch ein rosa Zettel mit einer Nachricht von Evie drin, bla bla bla, schreibt sie, wenn ich dich noch mal sehe, bring ich dich um. Und ich könnte nicht glücklicher sein.
Bevor Brandy sehen kann, an wen das adressiert ist, kratze ich den Aufkleber ab.
Model sein bedeutet unter anderem, dass meine Nummer nicht im Telefonbuch stand, so dass Brandy mich in keiner Stadt finden konnte. Ich war nirgendwo. Und jetzt fahren wir zu Evie zurück. Zu Brandys Schicksal. Ich und
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