Frederikes Hoellenfahrt
Form. Die Leipziger Polizei hatte alle verfügbaren Kräfte vor Ort, das waren fünfundsechzig.
Gab es Festnahmen?
Nein. Das ließen die Umstände nicht zu. Die Beamten wurden selbst angegriffen, und zwar mit einer Brutalität, die ihresgleichen sucht. Sie führten also faktisch einen Zwei-Fronten-Krieg: Sie mussten die Sicherheit wiederherstellen, und sie mussten sich selbst verteidigen. Mehr als das Feststellen der Personalien der Beteiligten war nicht möglich. Aber die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen versuchten Totschlags, versuchter Körperverletzung, schwerer Sachbeschädigung und weiterer Delikte gegen festgestellte Personen und auch gegen Unbekannt.
Warum wurde das Sondereinsatzkommando SEK nicht gleich angefordert?
Es gab Kontakt in der Nacht. Aber die Aktion war ziemlich schnell wieder vorüber. Und ein SEK-Einsatz braucht eine gewisse Vorbereitungszeit.
Reichen die Kräfte der Polizei aus oder braucht sie Verstärkung? Sollten Spezialeinheiten aus Städten angefordert werden, die Erfahrung mit dieser Art Bandenkriminalität haben?
Wir werden die Situation analysieren und dann auch über eine zweckentsprechende Verstärkung nachdenken. Gemeinsam mit dem Landeskriminalamt Sachsen werden wir einen Plan ausarbeiten, nach dem die Kräfte angepasst werden.
Wegen des niedergestochenen Mitarbeiters einer Sicherheitsfirma sind Racheakte zu befürchten. Sollte man in den nächsten Wochen lieber nicht in eine Leipziger Disko gehen?
Die Polizei wird nachts stärker präsent sein, um eine Wiederholung solch einer Situation zu verhindern. Sie wird auch vor den Diskotheken Präsenz zeigen. Racheakte muss man einkalkulieren. Wir versuchen, das mit allen Mitteln zu verhindern.
Freitag
21:45
»Da können sie mich gleich umbringen!«
Bruno Ehrlicher hatte den Jungen wortlos in seine Arme genommen. Er hatte gewusst, dass kein Satz Jonas Diepholz hätte trösten können.
»Nächsten Sonntag ist das Rennen.«
Jonas hatte ihm die Trümmer des Schiffes entgegengehalten und versucht, nicht zu weinen. Fast hätte er es geschafft. Seit einem Monat saßen sie in Ehrlichers Bastelkeller und hatten gesägt, geleimt und gemalt. Ehrlicher betrachtete den Rumpf des kaputten Modells. Zerbrochene Spanten und Planken aus Sperrholz, funktionstüchtig war nichts mehr und der Rest nicht zu gebrauchen. Ihre Arbeit war vernichtet. Jonas und er hatten viel Zeit investiert. Der Nachbarsjunge wollte nächsten Sonntag am Modellbootrennen auf dem Cospudener See teilnehmen. Mit diesen Trümmern war das unmöglich.
»Da können sie mich gleich umbringen!«
Jonas hatte Ehrlicher traurig angeblickt. Er war keine zehn und sein Traum zerstört. Jonas und er würden beim Rennen nicht mehr gewinnen. Sie konnten nicht einmal starten. Und diese Teilnahme am Wettkampf war nicht nur das Ziel von Jonas gewesen. Ein Modellboot war alles, was sein Vater Bruno Ehrlicher hinterlassen hatte. Heute stand es im Maßstab 1:63 im Wohnzimmerregal: Friedrich Wilhelm zu Pferde, 1693 vor Gibraltar verbrannt.
»Das ist nicht zu reparieren.«
Jonas hatte recht. Bruno hatte wortlos die Reste des Schiffsmodells in seine Hände genommen, hatte Jonas über den Kopf gestreichelt und gesagt: Wir werden trotzdem am Rennen teilnehmen. Versprochen! Er hatte Jonas die Hand gereicht. Der Junge schlug ein, aber er glaubte ihm nicht.
Und nun war Bruno Ehrlicher in seinem Keller und versuchte, die Modellpläne ihres ersten Entwurfs wiederzufinden. Er entdeckte sie nach längerem Räumen unter der Werkzeugkiste. Er hatte Zweifel, dass er das Schiff bis nächsten Sonntag noch einmal herstellen konnte. Die Zeit war zu kurz, um neu zu beginnen. Aber das hatte sich Bruno Jonas Diepholz nicht zu sagen getraut.
Grundsätzlich muss ein Schiffsmodell nicht unbedingt das verkleinerte Ebenbild eines großen Schiffes sein, auch Fantasieschiffe oder originalähnliche Schiffsmodelle können sehr interessant sein. Die Anleitung verlor sich erst einmal in Allgemeinplätzen. Bruno hatte mit Jonas darüber diskutiert, und sie hatten sich für ein Frischfisch verarbeitendes Industrieschiff entschieden. Das wäre einfach und schnell zu bauen, hatte Bruno vermutet und sich getäuscht. Trotzdem waren sie beide mit dem Resultat zufrieden gewesen. Bruno hatte noch niemals ein Schiff selbst gebaut, obwohl er schon in Kindertagen davon geträumt hatte. Eine erste Wasserung hatte ihre Konstruktion überstanden. Jetzt lag sie in Trümmern. Bruno warf die letzten Hölzchen in den Abfall.
Im
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