Die Spur der Woelfin
Die typische tropisch feuchtwarme Hitze, die New Orleans
jeden Sommer heimsuchte, hatte sich wie eine Dunstglocke über die Region
gesenkt, ließ die Stadt in Reglosigkeit erstarren und machte den Bewohnern das
Atmen schwer. Es war genau dieses Klima, das die Stadt zu etwas Besonderem
werden ließ, sie von allen anderen Städten der USA unterschied. Ein Hauch von
Karibik lag in der Luft, wurde von den Einheimischen aufgegriffen und prägte
das gesamte Stadtbild. Schwarze, Nachfahren jener Sklaven, die einst auf den
vielen Tabak- und Baumwollplantagen gearbeitet hatten, deren herrschaftliche
Häuser noch immer die Randbezirke der Stadt prägten. Cajuns, die eigentlichen
Eingeborenen, die oftmals noch immer versteckt in den kleinen Hütten im Bayou
oder in Hafennähe lebten. Und Weiße, Nachfahren der einstigen
Plantagenbesitzer, heimlicher Adel der Stadt, und jene, die, vom einzigartigen
Flair der Stadt angezogen, hierher gekommen waren.
The Big Easy, hier wurden die Klischees noch gelebt, und Laura
musste vor sich selbst gestehen, dass auch sie sich in diese Stadt und ihre
Geheimnisse verliebt hatte. Jedes Mal wieder überkam sie ein leichtes Kribbeln,
wenn sie den bulligen Jeep ihrer Arbeitgeber Richtung French Quarter lenkte.
Selbst nach einem Jahr ließ sie sich von dem Charme der Stadt einwickeln und
musste sich zwingen, nicht in kindlichem Staunen stehen zu bleiben und die
teilweise heruntergekommenen Fassaden der Kolonial-
stilhäuser anzustarren, die sich dicht an dicht aneinander schmiegten
und New Orleans ihren Stempel aufdrückten.
Die Uhren liefen hier anders, hatten viele Reiseführer geschrieben. Aber
das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Sie liefen nicht anders, sie waren
schlicht stehen geblieben. Die Kulisse so vieler Thriller hatte die
Kolonialzeit in die Gegenwart mitgenommen, die Neuerungen des 21. Jahrhunderts
eingefügt und den Rest so belassen.
Josh und Sandra, die drei- und fünfjährigen Kinder ihrer Arbeitgeber,
randalierten auf der Rückbank, als sie versuchte, den bulligen Geländewagen in
eine Parklücke zu manövrieren. Die Einparkhilfe piepte hysterisch, doch Laura
ignorierte das Warnsignal. Und schließlich stand der Wagen schnurgerade
zwischen den anderen.
»Und da sag noch mal einer, dass Frauen nicht einparken könnten«,
murmelte sie, schnallte sich ab und sprang vom Sitz hinunter auf den heißen
Asphalt der Straße. In vielleicht vier Stunden würde er zu kochen anfangen,
überlegte sie, während sie die Hintertür aufriss und die fünfjährige Sandra auf
die Straße hievte. Bis dahin würde sie alle ihre Besorgungen erledigt haben
müssen, oder sie hätte ein weiteres Paar Schuhe mit dem zähflüssigen
Straßenbelag ruiniert.
Die Kindergärtnerin, bei der Laura ihre beiden Schützlinge ablieferte,
wirkte bereits um neun Uhr morgens vollkommen fertig. Mit einem müden Lächeln
nahm sie ihr die beiden Kleinen ab, und sie erkannte, dass die Angestellte
schon jetzt klatschnass geschwitzt war. Die Ärmste, es war ihr erster Sommer
hier, ihrem Akzent nach zu urteilen, kam sie aus dem Norden, und Laura hoffte,
dass sie sich schnell akklimatisieren würde. Ein solch heißer Sommer konnte
ganz schön auf die Gesundheit drücken. Auch bei ihr war das in ihrem ersten
Jahr geschehen. Der ständige Wechsel von auf Hochtouren laufenden Klimaanlagen
hin zur drückenden Hitze auf den Straßen konnte einen
krank machen. Und es war das Unangenehmste, was man erleben konnte, fand
sie, wenn man gerade im Hochsommer mit einer dicken Grippe im Bett lag.
June D'Abot, die Mutter von Josh und Sandra und gleichzeitig Lauras
Arbeitgeberin, hatte ihr heute Morgen einen Zettel hinterlassen, auf dem sie
darum bat, einige Besorgungen für sie zu machen, zusätzlich zu den üblichen
Dingen. Auch Laura selbst hatte noch etwas in der Stadt zu erledigen, und so
beschloss sie, zuerst einkaufen zu fahren und dann bei dem Juwelier und der
Buchhandlung vorbeizusehen. Sie hatte Tessa, der Haushälterin der D Abots,
versprochen, für sie einkaufen zu fahren und ihr die Sachen für das Abendessen
vorbeizubringen, ehe es zu heiß wurde, um noch in der Küche arbeiten
zu können.
Eine Stunde hatte sie der Aufenthalt im Supermarkt und auf dem Markt am
Hafen gekostet, und als Laura nun Richtung Juwelier lief, war die Sonne bereits
ein ganzes Stück weiter in den Himmel geklettert und trieb die Temperaturen auf
bereits über dreißig Grad. Dreißig unendlich schwüle Grade, von denen gerade
jedes einzelne an ihr
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