Fremde
– er merkte gerade, wie sehr ihn sein Leben unter den Cian von den anderen Terranern entfremdet hatte. Ferri zuckte die Achseln, schenkte ihm ein verträumtes, verächtliches Lächeln und erlaubte sich noch einen langen Zug von der Droge. Als er wieder auftauchte, waren seine Augen undurchsichtig, und die Stimme wirkte noch entrückter. »Wir wissen seit langem, daß die Sprache der Cian stark auf Wechsel in Tonhöhen und Inflektion beruht, wie beim Chinesischen. Nun erscheint es so, daß exakt ausgesprochene Worte und Sätze eine andere und normalerweise völlig andere Bedeutung annehmen können, nur von dem sozialen Konstrukt abhängig, innerhalb dessen sie gesprochen werden. Vielleicht auch durch die unendlich vieldeutigen Handbewegungen und die Körpersprache variiert, wenn man das auch nur schwer beweisen kann. Aber Jesus! Ich bin überrascht, daß wir überhaupt jemals etwas von dem verstanden haben, was diese Leute zu uns gesagt haben.«
»Woher willst du wissen, daß wir das getan haben?« fragte Farber.
Ferri zog eine Grimasse und senkte seine Nase wieder in den Atomiseur.
13
Danach sah Farber Ferri für eine Weile nicht. Er und Liraun sahen sich zusehends gezwungen, mit ihrer eigenen Gesellschaft zufrieden zu sein. Bei dem gegenwärtigen Zustand von Liraun war das für Farber eine einsame Zeit. Er lebte wieder wie ein Junggeselle, aber dieses Mal akzeptierte er es mit Gleichmut, wie er auch versuchte, Lirauns Dumpfheit und den plötzlichen, offensichtlichen Verfall ihrer Gesundheit zu ertragen. Er war immer noch zufrieden, trotz allem. Seine alte Unrast, seine Erdenkrankheit, war verschwunden. Er wollte nirgendwo anders sein, nichts anderes tun – dieses Wissen drang von innen nach außen und verschaffte ihm Frieden. Wenn er in die Zukunft blickte, war er voller Zuversicht. Er hatte nun die Füße auf dem Boden, und er und Liraun hatten sich gut aufeinander zu entwickelt. Die Schwangerschaft hatte dies im Moment alles gestoppt, aber nachdem das Kind da war, würde sich alles wieder normalisieren. Er war kein sonderlich geduldiger Mann, aber er konnte genug Geduld entwickeln, um es bis dahin durchzustehen. Und dann würde alles gut werden. Alles würde schön werden. Und das Kind – er merkte, daß er ihm mit größerer Freude entgegensah, als er bei sich selber vermutet hätte.
Warte, bis das Kind da ist, sagte er zu sich. Warte, bis das Kind geboren ist …
14
Der letzte Monat der Schwangerschaft rückte heran, und Liraun unterzog sich einem weiteren Meerwechsel. Wenn sie auch körperlich immer noch schwach und zittrig war, so schien sie doch aus einer inneren Quelle Kraft und Würde zu ziehen. Aber nun forderte der Rat mehr und mehr von ihr, als wolle er soviel Nutzen wie möglich aus ihr ziehen, solange sie noch eine Mutter von Shasine war.
Manchmal begleitete er sie zu den Ratsversammlungen oder holte sie auf dem Rückweg von der Arbeit dort ab, und er sah und hörte genug, aus kleinen Unterhaltungsfetzen, um zu merken, daß das, was Ferri gesagt hatte, stimmte: Liraun regierte zusammen mit den sechs anderen Müttern, die im Moment den Rat bildeten, wirklich Shasine. Es war eine gewaltige, komplizierte Aufgabe, und Farber verstand nur soviel, daß er froh war, daß es nicht seine Aufgabe war. Finanzen zum Beispiel waren für die Cian ein Spiel, wie sie es für Terraner niemals hätten sein können. Sie gingen damit um wie in einem Märchenspiel. Wenn dies auch auf der Erde der Fall war, so gab man es dort doch selten oder nie zu – aber niemals würde man auf der Erde bereit sein, mitten im Spiel die Regeln aufzuheben oder zu ändern, wie es manchmal in Shasine geschah. Manchmal wischten sie einfach alle Schulden aus und begannen wieder von vorn, oder sie einigten sich auf einen neuen Geldwert; »Staatsverschuldung« war ein unbekannter Begriff bei den Cian. Doch diese Angelegenheiten gehörten noch zu den am wenigsten komplizierten im Zusammenhang mit der Rolle einer Mutter von Shasine, und Farber war es zufrieden, die ganze Sache Liraun zu überlassen, wenn er auch eine ganze Weile brauchte, um sich an seine neue Rolle als »First Lady«, wie er es nannte, zu gewöhnen. Jetzt war Liraun die Wichtigere – wenn er überhaupt irgendwelche Bedeutung besaß (viel bestimmt nicht), dann nur, weil er mit ihr verbunden war, weil sie ihn gern um sich hatte, als sei er ihre Lieblingskatze.
An einem Tag in diesem Zeitraum wurde er Zeuge eines sonderbaren Vorfalls, den er erst Wochen später
Weitere Kostenlose Bücher