Fremde
gelernt hatte. Die Sprache erschien ihm von einer verwirrenden Vieldeutigkeit. Ihre einfache Grammatik und Syntax war nur Maske, hinter der sich Millionen von quecksilbrigen Bedeutungswechseln verbargen. Er fragte sich, ob sein Kosmopolitanismus die Frau beeindruckt hatte. Sie sagte nichts mehr, und schließlich raffte er sich zu einem verspäteten »Hallo« auf, nur um das undefinierbare Schweigen zu brechen. Er kam sich albern dabei vor.
Sie nickte ihm mit trauriger Förmlichkeit zu. Dann lächelte sie, schnell und überraschend. »Gefällt Ihnen das Fest?« Sie wies mit dem Kopf zum Strand.
»Doch, ja«, antwortete er. Um ehrlich zu bleiben, fügte er hinzu: »Obwohl ich es eigentlich nicht verstehe.«
»Ah«, stellte sie fest und schielte nachdenklich an ihm vorbei. »Es gibt vieles an diesen Festen, das nicht leicht zu verstehen ist, auch für uns nicht, we? Und doch müssen wir, so gut es geht, mit ihnen fertig werden.« Ihr Tonfall war zugleich spöttisch und melancholisch – sie amüsierte sich über ihn, sicher, aber gleichzeitig fühlte er auch, daß sie fast verzweifelt auf seine Gesellschaft hoffte, wünschte, daß er sie beachtete. Sie wirkte einsam, dabei aber von einer unerklärlichen Verschlossenheit. Sie unterhielt sich sparsam mit ihm, auf eine fast brüske Art, und doch war ihr ganzes Verhalten entspannt und irgendwie leger. Ihr Lächeln war abrupt und überwältigend, ein Aufblitzen, ein Strahlen, das Farber traf wie ein Meißelschlag und sofort wieder erlosch. Und doch lag auch Mutwillen in diesem Lächeln. Er konnte in der Dunkelheit ihr feuchtes Blitzen sehen, während sie umherhuschten. Die Frau faszinierte ihn – beinahe in der ursprünglichen Bedeutung von fascinare, verhexen; sie bannte ihn an seinen Platz wie einen verzauberten Vogel. Sie war wild und traurig, und sie musterte ihn von der Seite durch das verwirrende, vielgestaltige Schattenspiel, das eine Zeremonie zu ihnen hineinwarf, die älter war als ihre beiden Zivilisationen.
Er erfuhr, daß ihr Name Liraun Je Genawen lautete. Sie war größer als ein durchschnittlicher Cian, ihr Kopf reichte Farber bis zum Brustbein. Sie saß, ein Bein elegant untergeschlagen, auf dem niedrigen Fenstersims. Sie wirkte noch schlanker als die meisten ihrer schlanken Rasse, geschmeidig und ätherisch – selbst in den winzigen Bewegungen des Kopfes und des Nackens konnte man die gleiche Sicherheit und totale Beherrschung jedes Muskels erkennen wie bei den Tänzern am Strand. Ihr Gesicht war scharf geschnitten, eckig, die Nase gerade und ausgeprägt, die Lippen waren breit und voll, die Augenbrauen schnelle schwarze Pinselstriche. Ihre Augen waren riesig, feurig und starrten wie die einer Eule oder eines Habichts. Ihre Haut zeigte das reiche, lebendige Braun von Mahagoniholz, allerdings etwas matter und dunkler. Ihr Haar, schwarz, lang, dick geflochten und glänzend, fiel ihr schwer über die Schultern. Sie trug ein Kleid aus Silber und Schwarz und um den Hals eine enganliegende Kette aus Bernstein und Obsidian. Während er sie ansah, wurde Farber zum ersten Mal etwas wirklich bewußt, das er intellektuell schon lange gelernt hatte: Clan hieß übersetzt »Das Volk«.
Sie unterhielten sich eine Zeitlang . Sie versuchte, ihm etwas von der Zeremonie zu erklären. »Man nennt es auch das Öffnen-der-Tore-von-Dûn«, erzählte sie. »Dûn ist die Anderswelt, der Andere Ort, und er liegt dort draußen tief unter dem Alten Meer. Die Gebeine der Ahnen ruhen dort, nackt, auf dem Boden des Ozeans, der Stätte des Kummers – aber es ist nicht nur das, nicht nur einfach der Meeresgrund, we? Es ist eine eigene Welt, der Ort, zu dem einige der Toten gehen, aber auch mehr als das – es gibt Dämonen und Machtvolle Wesen und Optin, und sie leben dort unten in Dûn.« Sie zuckte die Achseln und lächelte ihr düsteres Lächeln. »Alàntene, das ist das Ende der Sommerwelt, der Hitze, von allem, was wächst, die Herrschaft des Warmen Volkes endet. Es ist auch das Ende des Jahres – nach Alàntene beginnt der Winter, der Schnee, das Eis, das Verdorren des Lebens, die Herrschaft des Kalten Volkes, das zu Beginn des Jahres regiert. Die Tore von Dûn öffnen sich jetzt drunten unter dem Alten Meer. Dann erheben sich die Geister von denen, die im alten Jahr gestorben sind und denen es bestimmt ist, nach Dûn zu gehen, und sie reiten mit dem Wind und tauchen hinab nach Dûn, denn die Tore sind offen, und die Anderswelt berührt diese Erde. Und ebenso die Dämonen
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