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Fremde

Fremde

Titel: Fremde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gardner R. Dozois
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zu verlassen: die furchtbare Drohung öffentlicher Achtung. Aber dieses System war nicht geeignet, mit jemandem fertig zu werden, der sich wie Farber völlig außerhalb von allem stellte. Es gab eine Gruppe ärztlicher Überwacher, die sich um Geisteskranke kümmerte, auch um Amokläufer oder randalierende Betrunkene, aber anders als die Terraner wären die Cian nie so scheinheilig gewesen, ihn einfach für verrückt zu erklären, weil er darauf bestand, etwas zu tun, was ihnen nicht gefiel. Bis jetzt jedenfalls nicht. Die Zwielichtmenschen handelten als Schiedsrichter in ethischen Streitfragen und manchmal auch als Überwacher der eher formalen Duelle, aber sie hatten keine Vollmacht, irgendwelche Strafen zu verhängen. Was blieb also übrig? Ein lynchwütiger Mob? Möglich – aber sie würden eine ganze Weile brauchen, sich in diese Rolle hineinzusteigern. Religion? Würden sie versuchen, ihn moralisch zu überzeugen? Würde er auf sie schießen müssen?
    Er sicherte die Pistole wieder und schob sie zurück in den Gürtel. Er hoffte, daß er auf niemanden schießen mußte. Erschöpft stützte er den Kopf mit den Händen. Seine ganze Wut hatte sich gelegt und ihn leer und krank zurückgelassen. Wenn er eine Idee gehabt hätte, wie er aus dieser Lage wieder herauskommen könnte, er hätte jede Rückzugsmöglichkeit genutzt. Aber es gab keine.
    Er wartete still, während das Tageslicht im Zimmer langsam starb.
    Als er mit seiner katatonischen Frau dort in der sich sammelnden Dunkelheit saß, schien es ihm, daß Ferri recht hatte, was die Erdenmenschen anging. Das waren die falschen Leute hier draußen. Sie waren aus den falschen Gründen hierhergekommen, und sie suchten nach den falschen Dingen an falschen Orten zu einer falschen Zeit. Sie hatten ihre Fehler mit sich gebracht – hatten sie zu enormen Kosten über Hunderte von Lichtjahren hinweg transportiert, denn sicher hatten sie zu Hause die gleiche Litanei von Fehlern gemacht, auf die gleiche falsche Art gelebt: Man brauchte sich nur anzusehen, wie sie die Erde zugerichtet hatten, bevor die Enye kamen, um ihnen das zwiespältige Geschenk der Sterne zu überreichen. Es kam ihm vor, als hätten die Regierungen zu Hause einen grundlegenden, ja möglicherweise fatalen Fehler in rassischer Hinsicht begangen, indem sie Menschen wie die in der Enklave ausschickten, die Erde in der Galaxis zu repräsentieren. Die schlimmsten von ihnen, diese Gesandten, waren hohlköpfige, selbstgerechte, neurotisch verklemmte Knopfdruck-Täter auf der Suche nach der großen Chance, stolz auf ihr reibungsloses Funktionieren, auch wenn es zu nichts führte. Sicher hatte die Erde bessere Männer anzubieten. Doch selbst die besten von ihnen – Ferri zum Beispiel – hatten wiederholt demonstriert, daß sie nicht dazu in der Lage waren, die Cian als »Mitmenschen« zu betrachten, und diese falsche Objektivität hinderte sie gerade an jenen Beobachtungen, die sie damit schützen wollten. Letzten Endes hatte Ferri Farber auch nicht aus ehrlichem Mitgefühl oder aus Sympathie geholfen, sondern weil er Angst hatte, Farber könne ihm Gewalt antun. Und auch Farber selbst – er war so stolz darauf, sich einen »Künstler« zu nennen. Wie harmlos mußte sein Werk auf andere wirken, wenn die Co-Op keine Angst hatte, ihn hierherzusenden, um über die Aktivitäten der Co-Op auf Weinunnach zu berichten. Wie mußte man einen von der Regierung besoldeten Künstler nennen? Einen Minderbegabten? Unfähig zu unabhängiger Kunst? Eine Hure des Staates?
    Dann hörte er sie. Sie kamen zurück. Die Cian.
    Unsicher stand er auf und blinzelte schwankend in die Runde. »Liraun?« fragte er und merkte, wie flach und lahm seine Stimme durch die staubige Stille klang. Sie rührte sich nicht und antwortete nicht – sie saß leblos da, ihre Haut schimmerte schwach durch den sich verdunkelnden Raum wie eine Statue, aus altem schwarzem Holz geschnitzt. Draußen: der Lärm einer sich nähernden Menge, Gemurmel, Fußschritte, immer näher. Er lehnte sich gegen die Wand und bemühte sich, seine alte Wut zu neuem Leben zu erwecken, denn er wußte, daß er diese Wut jetzt zum Überleben brauchte. Aber er konnte nichts mehr davon finden. Als er sich bis zur Erschöpfung darum bemühte, fand er etwas anderes. Ein Gebräu aus Angst, Schuld und dumpfem, ver letztem Stolz stieg in ihm auf. Das mochte als Ersatz genügen.
    Farber ging hinaus. Die Dämmerung war fast angebrochen. Vom Ende der Row, eingerahmt von schwarzen

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