Frevel im Beinhaus
Jungen mit einer Arzneibestellung zu ihr. Die Universität wuchs und gedieh – und mit ihr natürlich auch die Menge an größeren und kleineren Verletzungen und Krankheiten, die sich die jugendlichen Scholaren immer wieder zuzogen.
«Ich weiß es nicht», antwortete Adelina. Vorsichtig füllte sie das grobe Pulver in ein mit Wachshaut ausgekleidetes Leinensäckchen. «Wir haben noch keine Nachricht von ihrer Familie. Aber da sie schon fast sieben Wochen fort ist, dürfte es nicht mehr lange dauern, bis sie zurückkehrt.»
«Hoffentlich.» Griet legte das letzte polierte Gewicht zurück in die Sammelschale. «Es macht keinen Spaß, die ganze Arbeit allein zu machen.»
Adelina lächelte. «Du machst das aber gut, Griet. Und bedenke, dass Mira sehr lange nicht mehr bei ihrer Familie zu Besuch war. Zuletzt vor anderthalb Jahren. Ganz sicher ist sie froh, ein bisschen Zeit mit ihren Verwandten zu verbringen.»
Griet hob den Kopf. «Glaubst du, die wollen sie überhaupthaben? Sie besuchen sie doch auch niemals hier. Na ja, außer ihrer Mutter. Bestimmt sind sie froh, Mira los zu sein.»
«Griet!» Streng schüttelte Adelina den Kopf. «Solche Reden möchte ich von dir nicht hören. Miras Mutter hat sich damals gegen die Pläne ihres Gemahls durchgesetzt, der Mira ins Kloster geben wollte. Aber das hat sie ganz sicher nicht getan, um sie loszuwerden.»
«Das meine ich ja auch nicht. Ihre Mutter ist zwar ein bisschen hochnäsig, aber trotzdem nett. Wenn Miras Stiefvater sie ins Kloster schicken wollte …»
«Ich weiß, was du meinst. Der Adel bringt jüngere Töchter sehr oft in einem Stift oder Kloster unter. Daran ist nichts Ungewöhnliches.»
«Das machen sie doch nur, um die Mitgift zu sparen.»
«Griet, hüte deine Zunge!» Nun runzelte Adelina deutlich verärgert die Stirn. Wenn sie nicht achtgab, würde ihre Stieftochter ein allzu vorlautes Mundwerk entwickeln.
Da Griet wegen ihres harschen Tonfalls den Kopf einzog, sagte sie mit etwas milderer Stimme: «Ein Kloster verlangt auch so etwas wie eine Mitgift für eine Novizin. Oft steigen adelige Mädchen zu bedeutenden Positionen auf, können sogar Äbtissin werden und großen Einfluss erlangen.»
«Mira als Äbtissin?» Griet machte große Augen, dann zuckte es um ihre Mundwinkel. Nur mit äußerster Anstrengung schien sie das Lachen unterdrücken zu können.
Auch Adelina verkniff sich ein Schmunzeln. «Du siehst, ihre Mutter tat gut daran, sie in unsere Obhut zu geben. Als Apothekerlehrling ist sie weitaus besser aufgehoben.»
«Es ist trotzdem komisch, dass sie so lange weg ist und uns keine Nachricht schickt», beharrte Griet. «Was, wenn ihr Stiefvater sie doch noch ins Kloster gesteckt hat?»
Adelina schüttelte verwundert den Kopf. «Weshalb inaller Welt sollte er das tun? Sie hat schon weit mehr als die Hälfte ihrer Ausbildung hinter sich. Wenn sie sich anstrengt, kann sie die Gesellenprüfung sogar etwas früher ablegen. Nun hör auf, dir unnötige Gedanken zu machen. Das bringt Mira auch nicht schneller wieder her. Geh lieber ins Hinterzimmer und sieh nach der Destille. Aber pass mit dem neuen Alembik auf. Er ist größer als der alte und schwerer.»
«Ist gut.» Gehorsam ging Griet zu der Tür, die in die Kammer hinter der Apotheke führte. «Ich hab trotzdem kein gutes Gefühl dabei», murmelte sie gerade so laut, dass Adelina sie noch verstehen konnte. Dann schlug die Tür hinter ihr zu.
Adelina sah ihrer Stieftochter überrascht nach. Seit ihrer Rückkehr nach Köln waren fünf Tage vergangen, und die letzten beiden hatte Griet immer wieder nach Mira gefragt. Ob sie sie derart vermisste? Während ihres Aufenthalts in Kortrijk hatte sie nie etwas verlauten lassen. Zwar war zwischen den Mädchen in den vergangenen Jahren eine innige Freundschaft gewachsen, und vielleicht sah Griet in der mittlerweile knapp sechzehnjährigen Mira so etwas wie eine große Schwester, aber das erklärte nicht diese merkwürdige Sorge, die nun in Griets Gesicht geschrieben stand. Mira war auch früher schon zu längeren Besuchen bei ihrer Familie gewesen.
Adelina legte das sauber verschnürte Säckchen mit der Arznei zu zwei weiteren auf den Tresen, dann holte sie die Zutaten für eine Salbe gegen Gicht aus den Regalen. Bestimmt war Griet nur verschnupft darüber, dass sie alle Arbeiten in der Apotheke, auch die weniger angenehmen wie Putzen und Staub wischen, ganz allein übernehmen musste. Das tat sie zumeist klaglos, und sie gab sich sogar beim Lernen
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