Frevel im Beinhaus
redliche Mühe, das konnte Adelina erkennen. Doch Mira war es, die ein wirkliches Talent für das Apothekerhandwerkbesaß, ganz besonders für die Herstellung von Duftessenzen und Konfekt. Griet orientierte sich gern an dem älteren Lehrmädchen und bemühte sich, ihr alle Handgriffe abzuschauen. Da sie jetzt allein war, fehlte ihr diese Stütze vermutlich.
Spontan beschloss Adelina, in der kommenden Woche mit Griet ein paar zusätzliche Lektionen einzulegen und mehr mit ihr zu üben.
Das Klingeln des Glöckchens an der Tür riss sie aus ihren Gedanken. Überrascht und erfreut zugleich blickte sie dem hageren Mann in Kaufmannskluft entgegen, dessen schütteres braunes Haar inzwischen zunehmend von grauen Strähnen durchzogen wurde. «Guten Tag, Herr Reese, wie geht es Euch?»
Sie kannte den Tuchhändler schon lange; vor Jahren hatte sie ihm mehrmals bei der Aufklärung von Morden an Kölner Bürgern helfen können. Noch immer bekleidete er das Amt des städtischen Gewaltrichters. Wenngleich sich Adelina seit den letzten Vorfällen erfolgreich aus allen städtischen Angelegenheiten und insbesondere aus gefährlichen Ermittlungen herausgehalten hatte, war der Kontakt zu Reese nie ganz abgebrochen. Das war vor allem auf die Tatsache zurückzuführen, dass seine Frau eine Schwäche für Adelinas gutes, wenn auch sehr teures Konfekt hatte. Dies schien heute wieder Reeses Anliegen zu sein, denn er trug eine der hölzernen Konfektschachteln bei sich.
«Frau Adelina, ich grüße Euch.» Lächelnd kam er näher und stützte sich dabei schwer auf einen Gehstock, um seinen mit einem Verband umwickelten Fuß zu entlasten. «Rosa hat mir keine ruhige Minute mehr gelassen, nachdem sie erfahren hat, dass Ihr von Eurem Verwandtenbesuch zurück seid. Sie wünscht eine Schachtel voll kandierter Kirschen, ohne die sie, wie sie behauptet, nicht mehr lange leben würde.» Er verzog die Lippen zu einem nachsichtigenLächeln. «Sie übertreibt natürlich, wie gewöhnlich. Oder mischt Ihr in dieses Konfekt etwa eine Essenz, die die Menschen dazu bringt, immer mehr davon zu wollen?»
Adelina lachte. «Aber nicht doch, Herr Reese, was denkt Ihr Euch? Wir Frauen lieben nun einmal süße Sachen. Aber sagt, was ist geschehen? Habt Ihr Euch den Fuß verstaucht?»
«Nein, das nicht.» Reese trat an den Tresen und lehnte den Gehstock daneben. «Muss wohl die Gicht sein. Mein Zeh ist ganz rot und geschwollen, und das Auftreten schmerzt. Da ich schon mal hier bin, wollte ich Euch um eine Arznei gegen die Schmerzen bitten.»
«Aber sicher.» Adelina wies auf die Zutaten, die sie gerade bereitgestellt hatte. «Ich war gerade dabei, eine Salbe gegen Gicht zuzubereiten. Das kann aber etwas dauern. Wenn Ihr wollt, gebe ich Euch fürs Erste eine Mischung aus Goldrute und Brennnesseln mit. Lasst Eure Gemahlin einen Sud daraus bereiten, von dem Ihr dreimal täglich trinken müsst. Die Salbe lasse ich Euch morgen bringen.»
«Ich danke Euch.» Reese atmete sichtlich auf. Er zog seine Geldbörse aus einer Innentasche seines Zunftmantels und legte ein paar Münzen auf den Tresen. «Ihr seht gut aus, Frau Adelina. Eure Schwangerschaft scheint schon weit fortgeschritten zu sein. Wird Euch die Arbeit in der Apotheke nicht allmählich zu beschwerlich?»
«Bis jetzt noch nicht.» Rasch nahm Adelina die Münzen an sich und legte sie in die Geldkassette unter dem Tresen. «Ich habe meine Apotheke in den vergangenen Wochen sehr vermisst und bin froh, wieder hier zu sein.» Sie schwieg einen Moment. «Wie ich hörte, planen die Kurfürsten den Sturz des Königs.»
Reese kräuselte die Lippen. «Das ist Euch also schon zu Ohren gekommen, wie? Na, hätte mich auch gewundert, wenn diese Information vor Eurer Tür haltgemacht hätte.»
«Ist der Stadtrat in diese Angelegenheit verwickelt?»
«Nicht direkt.» Nachdem Adelina das leere Konfektkästchen wieder aufgefüllt hatte, nahm er es an sich und griff wieder nach seinem Stock. «Der Erzbischof hat die Stadt nicht um Einmischung oder Unterstützung gebeten, aber der Rat steht in jedem Falle hinter ihm.»
«Der Rat toleriert also die Absetzung König Wenzels?»
Reese schnaubte. «Wir würden sie sogar begrüßen. Wenzel ist kein König, sondern ein unnützer, fauler Hundsfott. Nur Saufereien, Weiber und Schwermütigkeit – mehr hört man nicht von ihm. Ein solch unwürdiger Mann darf einfach nicht der Verwalter unseres Reiches sein.»
«Und wer soll sein Nachfolger werden?»
«Das ist noch nicht sicher.»
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