0323 - Gefangen am Todesfelsen
Wir befanden uns inmitten einer unterirdischen, hochtechnisierten, geisterhaften Landschaft, die selbst für Hongkonger Verhältnisse einmalig war.
Ein Vergnügungspark, in den man hineinfahren konnte. Kleine Schienenbahnen brachten die Besucher in eine Region, die sie die unheimliche und so fremde chinesische Mythologie erleben ließ.
Da gab es die Hölle, geheimnisvolle Gräber, eine uralte Dschunke und ein Vampir-Theater, das unser Ziel war. Denn dort sollten sich meine drei Freunde befinden.
Shao, Susan Perth und Suko!
Nicht als freie Menschen, sondern als Gefangene eines mächtigen Dämons, der den Namen Fratzengesicht bekommen hatte. Ich selbst hatte ihn nur einmal zu Gesicht bekommen, aber nicht als lebende Persönlichkeit, sondern abgebildet auf einem alten Dschunkensegel.
Ein janusköpfiges Gesicht, halb Vampir, halb Chinese.
Um ihn drehte sich alles. Er sollte sich auch dafür verantwortlich zeigen, daß Mandra Korab, unser indischer Freund, entweder tot oder verschollen war. Um dieses Geheimnis aufzuklären, waren wir nach Hongkong geflogen.
Normal gehen konnte der halbe Mensch nicht. Er hüpfte vor mir her.
Ich hätte eigentlich Mitleid mit ihm haben müssen. Daß dem nicht so war, verdankte er der Tatsache seiner absoluten Bösartigkeit. Er hatte mich aus dem fahrenden Zug geschleudert. Da war er noch ein Mensch gewesen. Später hatte er mir als Vampir gegenübergestanden.
Der Weg führte bergauf. Irgendwann einmal würden wir den über uns verlaufenden Schienenstrang erreichen, wo sich auch der Bahnhof befand, der zum Vampir-Theater gehörte.
Ein normaler Mensch wäre bei dieser Belastung schon zusammengebrochen. Nicht so mein Begleiter. Er hielt sich gut. Ihn mußte die Kraft der Hölle antreiben, etwas anderes konnte ich mir einfach nicht vorstellen.
Die Umgebung hatte sich verändert. Der Bereich der Gräber lag hinter uns. Vor uns sah ich die heile Welt einer netten Sage. Feen, Elfen und Zwerge gaben sich ein Stelldichein.
Diese Wesen standen nicht starr in der Luft. Sie bewegten sich und hingen an hauchdünnen Fäden, die mit bloßem Auge kaum zu erkennen waren. Vom Zug aus erst recht nicht. Auch ich mußte schon sehr genau hinsehen, um sie überhaupt zu bemerken.
Die Bewegungen der hin- und herschwingenden Figuren irritierten mich ein wenig. Ich blinzelte ein paarmal mit den Augen und suchte auch nach Zwischenräumen, die ich durchqueren konnte, ohne die Mechanik zu unterbrechen.
Einige Male mußte ich den Kopf einziehen. Sicherheitshalber behielt ich die Figuren aus dieser Traumwelt immer im Auge, doch sie taten mir nichts. Sie waren nicht dämonisch beeinflußt worden.
Manchmal lachte mein unheimlicher Begleiter leise auf. Er schien sich über irgend etwas zu freuen, so daß ich mich gezwungen sah, eine entsprechende Frage zu stellen.
»Wir sind gleich da«, erklärte er. »Nach dem Reich der Feen und Elfen kommt das Vampir-Theater.«
»Und was freut dich so daran?«
»Daß es für dich die Endstation sein wird. Hast du verstanden? Die Endstation.«
»Das ist nicht so sicher.«
»O doch. Ich weiß es. Wer in die Gewalt des Fratzengesichts gerät, ist verloren. Die nächste Nacht ist seine, und die Dschunke befindet sich bereits auf dem Meer.«
Sofort hakte ich nach. »Welche Dschunke?«
»Nichts, gar nichts…« Er lachte und bewegte dabei nickend seinen halben Schädel.
Von einer Dschunke hatte ich bisher nichts gehört. Gab es in diesem vertrackten Spiel wieder einen neuen Joker?
Es war alles möglich. Ich wollte auch nachfragen, doch etwas kam dazwischen.
Ich sah unser Ziel!
Es war der Bahnhof, zu dem gleichzeitig das Vampir-Theater gehörte.
Rechts von uns verlief der Schienenstrang. Licht fiel auf die Gleise und ließ sie schimmern.
Ich wollte nicht zu schnell gesehen werden und wich zur linken Seite hin aus. Mein Begleiter protestierte nicht. Er hüpfte nach wie vor neben mir.
Der Bahnhof entschwand unserem Blickfeld. Dafür sah ich ein anderes Gebäude. Es wurde angestrahlt. Das seltsam bleiche Licht fiel aus großen Deckenscheinwerfern. Es war ziemlich hell, dennoch ließ es einen Teil des Gebäudes im Dunkeln.
Über die Erde wanderten rötlich blaue Schattenspiele. Eine Leuchtreklame zuckte intervallweise auf. Wahrscheinlich befand sich dort auch der Eingang zum Theater.
Mein Begleiter wollte sich in die Richtung wenden. Ich aber legte ihm nahe, nicht dorthin zu gehen.
»Du willst doch zum Theater!«
»Natürlich. Hat es keinen Hintereingang?«
»Ja,
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