Frevel im Beinhaus
denn ein paar Wochen später wäre es vielleicht schon zu gefährlich gewesen. Noch einmal zupfte sie an ihrer Haube herum, unter der sich ihr schwarzes, zu ordentlichen Schnecken geflochtenes Haar verbarg.
«Herrin, braucht Ihr etwas?» Magda, die ältliche Magd, trat durch die Tür. Um ihre Augen lagen viele kleine Fältchen, die von ihrem heiteren Gemüt zeugten. «Ich habe Colin in sein Bett gebracht. Er ist dabei zum Glück nicht aufgewacht.»
«Ich habe auch lange genug gebraucht, um ihn zum Einschlafen zu bringen.» Adelina lächelte wieder. «Ist Mira schon von dem Besuch bei ihrer Familie zurück?»
«Nein.» Magda schüttelte den Kopf. «Ich hab seit ihrer Abreise vor sechs Wochen nichts von ihr gehört.»
«Ich hoffe, ihre Familie kann sie bald wieder entbehren», sagte Adelina. «Wenn ich die Apotheke morgen wieder öffnen will, brauche ich jede Hilfe.»
«Mutter?» Mit leicht geröteten Wangen und blitzenden Augen kam ihre Stieftochter Griet in die Küche gerannt. Ihre zu Zöpfen geflochtenen schwarzen Locken wippten erregt auf und ab. Adelina stellte fest, dass das Mädchen schon wieder gewachsen war. Griet benötigte ein neues Kleid. «Mira ist noch gar nicht wieder hier! Ihre Kammer ist leer; nur das dicke Kräuterbuch liegt auf dem Tisch. Und in meiner Kammer liegt eine tote Maus auf dem Boden.»
Adelina nickte. «Mira ist noch bei ihrer Familie. Warum hast du die tote Maus nicht gleich hinausgebracht?» Siewandte sich an Magda. «Was macht Fine eigentlich den ganzen Tag? Eine so faule Katze habe ich selten gesehen.»
Die Magd gluckste. «Das arme Tier hat Vitus vermisst. Und sie hat sich mehrmals mit dem dicken schwarzen Kater geprügelt, der seit kurzem hier herumschleicht.»
«Ich bring die Maus schon weg», sagte Griet und machte auf dem Absatz kehrt.
Adelina wandte sich ebenfalls zur Tür.
«Ihr seid schon ganz schön rund», befand Magda mit einem Blick auf Adelinas gewölbte Leibesmitte. «Wird nicht mehr so lange dauern, nicht wahr?»
«Das Kind soll im September geboren werden», antwortete Adelina und legte automatisch ihre rechte Hand schützend auf ihren Bauch. «Ich werde Ludmilla in den nächsten Tagen Nachricht geben, damit sie mich vorher noch einmal besuchen kommt.» Mit diesen Worten machte sie sich auf den Weg in ihre Apotheke, die sie, wie sie beim Anblick des polierten Verkaufstresens und der ordentlich aufgeräumten Regale ringsum merkte, bereits schmerzlich vermisst hatte. Sie fuhr mit dem Zeigefinger über eines der Regalbretter und musterte dann missbilligend die Spur, die sie in die dünne Staubschicht gezogen hatte. Das war eine gute Beschäftigung für Griet, beschloss sie und ging zur Tür, um sie aufzuschließen und frische Luft hereinzulassen.
Sie lachte über sich selbst, als sie die Tür aufstieß und ihr sofort schwere Gerüche entgegenkamen. Der Sommer in Köln hielt nur selten frischen Wind bereit und noch seltener Wohlgerüche. Das bunte Treiben auf dem Alter Markt hatte ihr trotzdem während ihres Besuchs bei ihrer Schwiegermutter gefehlt.
Jetzt, am späten Nachmittag, schoben sich unzählige Kauflustige – Hausfrauen, Mägde und Besucher der Stadt – zwischen den Ständen und Schragentischen der Bauern und Kaufleute hindurch. Barfüßige Gassenjungen in schmutzigenund meist zerrissenen Kleidern rannten umher. Hühner gackerten in ihren Käfigen, irgendwo blökte ein Schaf, und über allem schwebte ein Gesumm von unzähligen Stimmen, immer wieder durchbrochen von den lockenden Rufen der Marktschreier. Erst nach dem Läuten der Vesperglocke von Groß St. Martin würde sich das Gedränge nach und nach etwas lichten.
Gerade wollte Adelina ihre Tür wieder schließen, als sie die Gestalt einer jungen Frau wahrnahm, die einen großen Korb am Arm trug und auf die Apotheke zusteuerte. Ihr rotblondes Haar trug sie zu einem festen Knoten hochgesteckt mit einem schlichten Kopftuch bedeckt, und die hellen Augen funkelten erfreut über ihrer kleinen Stupsnase. «Herrin!», rief sie von weitem und beschleunigte ihre Schritte. «Ihr seid ja schon da! Wir hatten Euch erst für den späten Abend zurückerwartet.»
Adelina öffnete die Tür wieder etwas weiter und trat beiseite. «Guten Tag, Franziska. Wie ich sehe, warst du einkaufen und …» Sie schnupperte. «Hast du gebratene Hühnchen mitgebracht?»
«Aber ja doch, wie Ihr es Donatus gesagt habt. Als er uns die Nachricht von Eurer bevorstehenden Rückkehr überbrachte, meinte er, ich solle eine sehr große
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