Friesenkinder
Dann weinte sie leise.
Es war also doch kein Traum gewesen. Farhaad war tot. Ermordet. Sie schloss die Augen und versank in der Dunkelheit hinter den Lidern. Eine unsägliche Leere begann sich in ihr auszubreiten. Eine Leere, die sie lähmte. Sie konnte nicht einmal weinen.
Die Türglocke schellte. Nesrims Herz pochte wieder schneller.
»Das ist die Polizei«, flüsterte ihre Mutter und richtete sich langsam auf.
Die Frau, die auf dem Sofa lag, war wunderschön. Thamsen hatte selten eine derart faszinierende Frau gesehen. Sie wirkte wie eine Prinzessin aus 1001 Nacht. Ihre dunklen Haare schimmerten im Licht der kleinen Stehlampe und ihr Teint wirkte samtig-seidig. Aus ihren dunklen Augen blickte sie ihn erschrocken an. Sofort meldete sich in ihm der Beschützerinstinkt.
»Darf ich Ihnen ein paar Fragen stellen?«, begann er behutsam.
Die ältere Dame, die ihm die Tür geöffnet hatte, half der Witwe, sich aufzusetzen. Permanent redete sie dabei in einer Sprache, die Thamsen nicht verstand, aber deren Klang ihm durchaus gefiel.
»Ich weiß, Mama«, unterbrach Nesrim Merizadi den Redefluss. Sie strich sich das lange Haar aus dem Gesicht und bat Thamsen, Platz zu nehmen. Ihre Mutter verschwand in der Küche.
»Sicher ist es schwer für Sie, aber wir versuchen, den Mörder Ihres Mannes zu finden, und brauchen dabei Ihre Hilfe.«
»Meine Hilfe?«, sie sah ihn ängstlich an. Am liebsten wäre er aufgesprungen und hätte die zierliche Frau in den Arm genommen. Die Welt war so böse zu ihr. Doch er musste sich auf die Arbeit konzentrieren und sachlich bleiben. Auch wenn es ihm schwerfiel.
»Frau Merizadi, wann haben Sie Ihren Mann das letzte Mal gesehen?« Er nickte ihr freundlich zu und verwünschte es, ihr solche Fragen stellen zu müssen.
Nesrim schluckte umständlich, ehe sie antwortete.
»Gestern Abend. Wir haben zusammen zu Abend gegessen. Dann ging sein Telefon und er musste zu einem Notfall.«
»Notfall?«
Nesrim Merizadi nickte schwach. »Ja, eine Patientin hatte wohl vorzeitig Wehen.«
»Wissen Sie, wer?«
Sie schüttelte den Kopf. Thamsen notierte sich den Anruf. Er würde in der Praxis nachfragen, ob man dort etwas über den Notfall wusste. Jeder Hinweis konnte wichtig sein, denn je exakter sie die letzten Stunden des ermordeten Arztes rekonstruieren konnten, umso größer war die Wahrscheinlichkeit, auf eine Spur des Täters zu stoßen.
»Gab es sonst irgendetwas Auffälliges in der letzten Zeit? Hatte Ihr Mann Streit mit jemandem oder wurde er bedroht?«
Der Körper der Witwe verkrampfte sich. Dirk Thamsen wusste diese Reaktion nicht recht zu deuten, speicherte sie aber unbewusst ab.
»Nein. Mein Mann war überall sehr beliebt.«
»Nesrim.« Die Mutter betrat, mit einem Tablett beladen, das Wohnzimmer und bedachte ihre Tochter mit einem mahnenden Blick. Dann sprach sie wieder in der fremden Sprache, allerdings mit mehr Energie und Nachdruck in der Stimme, bis die Tochter sie mit ein paar scharfen Worten und wütenden Blicken zum Schweigen brachte.
»Was ist?« Thamsen kam der verbale Schlagabtausch äußerst seltsam vor. Hier stimmte doch irgendetwas nicht.
»Es ist nichts«, blockte Nesrim Merizadi jedoch ab und nahm von der Mutter das Tablett entgegen. »Darf ich Ihnen einen Tee anbieten?«
Haie hatte den ganzen Nachmittag erfolglos versucht, die Freunde anzurufen. Lediglich Toms Mailbox hatte er erreicht und bereits mehrmals drauf gesprochen. Langsam machte er sich Sorgen.
Er hatte beschlossen, nach Feierabend direkt bei den beiden vorbeizuschauen, und fuhr daher den Schulweg bis zur Dorfstraße hinunter und nahm nicht wie gewöhnlich den Weg an der Wehle vorbei über Spätland nach Maasbüll.
Der Nebel hatte sich tagsüber aufgelöst, dennoch war die Feuchtigkeit geblieben und die nasse Kälte kroch ihm bis unter die Jacke. Er fröstelte. Eigentlich liebte er sein Land bei jedem Wetter, aber heute wäre er für ein paar Sonnenstrahlen dankbar gewesen. Oder zumindest einen Zipfel blauen Himmels. Das graue Wetter hielt sich schon seit Tagen und langsam konnte er die Leute verstehen, denen dieses trübe Wetter aufs Gemüt schlug, obwohl er ansonsten kaum Probleme damit hatte. Er war hier geboren und mit dieser grauen Jahreszeit groß geworden. Sie gehörte zu seinem Leben dazu. Und irgendwie passte sie heute zu seiner Stimmung, seinen Sorgen und vor allem dem Mord in Ladelund.
Er bremste vor dem Haus der Freunde ab und lehnte sein Fahrrad an den Zaun. Schon als er den Weg zur
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