Friesenrache
Felder
»Ja, aber wer ist denn so doof und legt die Leiche in ein Feld, das kurz vor der Ernte steht? Is' doch klar, dass man ihn dann schnell findet«, bemerkte der Grauhaarige und blickte fragend in die Runde.
»Vielleicht wollte der Mörder ja genau das«, spekulierte Marlene. Plötzlich waren alle Augen auf sie gerichtet.
Die Befragung Ulf Carstensens hatte Thamsen zwar einige neue Hinweise gebracht, doch solange der Obduktionsbericht aus Kiel noch nicht vorlag, wollte er keine weiteren Ermittlungen einleiten. Verhöre aufgrund von Spekulationen gestalteten sich schwierig. Meist war es nicht möglich festzustellen, ob der Befragte die Wahrheit sagte, solange noch keine konkreten Hinweise über einen möglichen Tathergang zur Verfügung standen. Außerdem hatten sie noch nicht einmal Angaben über den Todeszeitpunkt. Was nützte es da, nach irgendwelchen Alibis zu forschen?
Er ordnete die Zettel auf seinem Schreibtisch und verabschiedete sich von seinem Kollegen.
»Bis morgen Hans. Mach nicht zu lange!«
Er fuhr nicht direkt zu seiner Exfrau, um Anne wie besprochen abzuholen, sondern zunächst zu seinen Eltern. Seine Mutter öffnete auf sein Klingeln. Sie trug wie gewöhnlich eine geblümte Küchenschürze.
»Dirk, schön dich zu sehen.« Sie umarmte den Sohn.
»Komm rein, willst du etwas mitessen?«
Der Abendbrotstisch in der Küche seiner Eltern war bereits gedeckt, sein Vater saß auf der Eckbank, vor ihm auf dem Tisch stand ein Bier. Er begrüßte den Sohn flüchtig.
Thamsen spürte sofort, dass dem Vater sein Besuch unangenehm war. Der ließ sich nur ungern in seinem Tagesablauf stören. Deshalb schüttelte er auf die Frage seiner Mutter nur kurz den Kopf.
»Ich will euch auch gar nicht lange aufhalten«, begann er umständlich. »Wir haben nämlich einen aktuellen Mordfall und deswegen hab ich auch jede Menge zu tun.«
»Ach, was ist denn passiert?« Es war wie immer seine Mutter, die Interesse an seinem beruflichen Leben zeigte.
»Ein Leichenfund in Risum-Lindholm.« Er nahm den genervten Gesichtsausdruck seines Vaters wahr und sparte sich weitere Ausführungen.
»Ja, und deshalb kann ich morgen auch nicht freimachen. Können Anne und Timo vielleicht nach der Schule zu euch kommen?«
Die Frage hatte er absichtlich nur an seine Mutter gerichtet, dennoch fühlte sein Vater sich sofort genötigt, dem Sohn einen ausführlichen Vortrag über die Belastung zu halten, die Dirk seiner Mutter mit der Betreuung der Enkel zumutete.
»Das sind schließlich deine Kinder. Du wolltest doch, dass sie bei dir wohnen. Deine Mutter kann da nicht ständig für dich einspringen. Warum fragst du nicht Iris? Immerhin sind das auch ihre Kinder.«
Dirk Thamsen hatte selbst bereits diese Möglichkeit in Betracht gezogen, sich aber nach reiflichem Überlegen bewusst dagegen entschieden. Er wollte nicht, dass Anne und Timo zu viel Zeit mit ihrer Mutter verbrachten. Iris hatte in der Vergangenheit nicht gerade einen guten Einfluss auf die Kinder gehabt. Außerdem hatte er das Gefühl, je öfter die beiden mit der Mutter zusammen waren, umso mehr keimte in ihnen die Hoffnung, dass irgendwann wieder alles so wie früher werden würde. Zumindest bei Anne, der Jüngeren der beiden, hatte es für ihn den Anschein, als warte das Mädchen nur darauf, dass die Eltern sich wieder vertragen und zusammenziehen würden. Vielleicht redete Iris ihr das ja sogar ein. Was wusste er schon, was sie den Kindern erzählte? Am Ende war er noch derjenige, der sich gegen die Familie entschieden hatte.
Er ging auf das Gerede seines Vaters nicht ein, sondern wandte sich erneut an seine Mutter.
»Bitte, es wäre nur morgen. Am Wochenende kann ich mich dann wieder um die beiden kümmern.«
Sie nickte, obwohl ihr der missbilligende Blick ihres Mannes nicht entging. Aber wie konnte sie dem Sohn eine Bitte abschlagen? Noch dazu, wenn es um ihre Enkel ging? Dennoch hasste sie es, wenn der Haussegen schief hing, und das tat er, nun da sie sich gegen die Meinung ihres Mannes gestellt hatte. Deshalb fügte sie schnell hinzu: »Aber nur morgen und ausnahmsweise. Danach musst du sehen, wie du zurechtkommst!«
4
Der Obduktionsbericht lag bereits auf seinem Schreibtisch, als Thamsen am Morgen das Büro betrat. Die Gerichtsmediziner in Kiel hatten ganze Arbeit geleistet. Er hatte nicht geglaubt, dass es möglich sein würde, solch präzise Angaben über die Todesursache
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